„El Baile de San Vito“ von Maura Morales

„El Baile de San Vito“ von Maura Morales

Packender, verrückter Tanz bei „Think Big“ in Hannover

Jubel für drei beeindruckende Choreografien der Künstlerresidenz beim Festival Tanztheater International

Künstlerresidenzen: Drei junge Choreografen suchen ein großes Ensemble aus und erarbeiten je ein Kurzstück, das beim Festival Uraufführung feiert.

Hannover, 04/09/2013

von Evelyn Beyer. Diese Kritik erschien zuerst in der Neuen Presse

Der Tanz, diese Verrücktheit. Im weißen Kittelhemd steht ein Tänzer auf der Musikhochschulbühne im Spotlicht, lächelt verlegen ins Publikum. Doch dann durchzuckt es ihn, wie getrieben bricht er in ultraschnelle Gesten aus. Und als er weißen Rauch aus der Dose über den liegenden Menschenpulk hinter ihm versprüht, zuckt der ins Leben, sie zittern, vibrieren, als hätten ihre Glieder ein Eigenleben, formieren sich in Reihen, zu Paaren, tanzen wie aus der Fassung geraten.

Mit „El Baile de San Vito“, (Veitstanz), erinnert Choreografin Maura Morales, in Hannover aus Stücken von Felix Landerer bekannt, an das Phänomen der Tanzwut im Mittelalter, zwanghafter Tanz bis zur Erschöpfung. Bizarre Menuettschritte, akrobatische Figuren, sexuelle Anspielungen, oft roh und wie auf Speed: furioses Finale beim diesjährigen „Think Big“-Programm des Festivals Tanztheater International.

Großartig erdacht ist schon diese Künstlerresidenz, die Festivalleiterin Christiane Winter gemeinsam mit der Staatsoper zum zweiten Mal auf die Beine gestellt hat. Drei junge Choreografen suchen ein großes Ensemble aus und erarbeiten je ein Kurzstück, das beim Festival Uraufführung feiert.

Bestechend gut haben die drei die Tänzer gewählt, Präzision in den Bewegungen, Präsenz und Persönlichkeit in der Ausstrahlung. Schon das erste Stück, „Unknowing“ von Matthias Kass, zeigt grandioses Niveau. Zu eigens eingespielten Rockstücken der Allgäuer Band Skinsurfers entfalten sich hochdynamische, mit Breakelementen durchsetzte Tanzbilder, raumgreifend, mit Düsterkeit spielend, faszinierend in ihrer Energie.

Beeindruckende Klarheit und Ruhe dann bei „A Notion of the Tides“ (eine Wahrnehmung der Gezeiten) vom gebürtigen Japaner Shumpei Nemoto. Sogar Blicke hat er choreografiert, kaum eine Bewegung zuviel. Leichtigkeit und Erdhaftung, Stille und Bewegtheit, Begegnung und Rivalität, Zweiheit und Gruppe: Er setzt gekonnt Pole gegeneinander, erkundet hochspannend ihr Gemeinsames; nutzt dabei allerdings selten die ganze Gruppe.

Riesenjubel in der so gut wie ausverkauften Hochschule für Musik, Theater und Medien. Schade, dass diese vielfältigen Choreografien so nur dieses eine Mal zu sehen sind; mehr ist finanziell nicht möglich. Doch die Impulse, die von dieser Art Tanzförderung ausgehen, sind eine immense Bereicherung.
 

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