„The Artificial Nature Project“ von Mette Ingvartsen

„The Artificial Nature Project“ von Mette Ingvartsen

Skandinavischer Abend in Salzburg

Sommerszene 2013 zeigt Mette Ingvartsens „The Artificial Nature Project” und Nadja Hjortons „Radio Dance“

Mette Ingvartsen ist abermals mit einer choreografischen Installation Gast der Sommerszene. Die Choreografin und Tänzerin Nadja Horton dagegen ist eine Neuentdeckung aus Schweden.

Salzburg, 14/07/2013

Die Salzburger republic-Bühne ist in tiefe Dunkelheit getaucht, knisternd rieseln vor unseren Augen zigtausend reflektierende Lichttropfen herunter. Ein Meer aus glimmenden Nordlichtern. Die dänische Choreografin Mette Ingvartsen entführt mit ihrer Installation „The Artificial Nature Project“ das Publikum in eine ferne, faszinierende Welt, die, wie sich später herausstellt, durch das menschliche Eingreifen sprichwörtlich ver-formt wird. Nach dem stimmungsvollen Sternenregen werden sieben Per-Former, mit Atemmasken und Schutzbrillen versehen, sichtbar. Die schwarz bzw. grau gekleideten Darsteller wühlen sich zuerst langsam durch die schwarz-graue Hügellandschaft aus Metallkonfetti.

Dann beginnt der Kraftakt. Genau getaktet schleudert Ingvartsens Team immer und immer wieder Häufchen der Schnipsel in die Luft, kreieren silberschimmernde Geysire und denen sie selbst komplett unsichtbar werden. Allmählich kippt die Idylle um. Die Konstrukteure schleudern, klatschen, formen das Kleinmaterial, das dank der ausgefeilten Lichtregie von Minna Tiikkainen bald wie ein Teppich glühender Kohlen den Wandel der Welt ankündigt. Nun rückt man mit Laubbläsern an. Die Manipulatoren stopfen Konfetti in Eimer, kippen diese in die Glut des roten Höllenfeuers, dessen Schwaden hoch hinaufsteigen. Währenddessen wird auf der Bühne weiter gebastelt, geschichtet, gestampft und gebaut. Wie um sich die Umlaufbahnen der Planeten zurechtzurücken, lässt man in gezielt erzeugten Luftströmen Metallfolien kreisflattern. Die gold-silbernen Folien werden wie von Geisterhand zu prunkvollen, fächelnden Barockfalten oder abstrakten Kruzifixen an die schwarzen Bühnenwände dirigiert. Mette Ingvartsen gelingt es in ihren apokalyptischen und assoziationsreichen Szenarien den perversen Zerstörungswillen des Menschen auf sehr innovative wie mahnende Weise offenzulegen.

Mit „Radio Dance“ stoßen wir auf eine weitere skandinavische Choreografin. Nach Mikael Niemis Jugend-Rock'n'Roll-Roman „Populärmusik aus Vittula“ und Torbjörn Flygts humoristischen Generationsroman „Underdog“ lädt nun Nadja Hjorton auf eine autobiografische Reise in die skandinavische Vergangenheit ein. „Radio Dance“ ist Hjortons Abschlussprojekt des Masterstudiengangs „Choreografie“ an der Universität für Tanz und Circus in Stockholm. Gekonnt verwebt sie darin ihre eigene Kindheit mit wichtigen Persönlichkeiten und Ereignissen der Politik-, Pop,- und Tanzgeschichte.

Es ist ein weitestgehend sentimentales, selbstironisches Solo (Nadja studierte gemeinsam mit ihrer gleichnamigen Freundin einen Striptease zu Roxettes „Dressed for success“ ein – ein, wie man sich denken kann, wenig gelungener Beitrag zum Schulwettbewerb). Und doch klingen feministische Töne − Kaugummis muss man zwischen Pornoseiten kleben, denn „porno is bad“ − stets durch. Auch die Welt des Tanzes wird hierbei hinterfragt: Wieso sind alle guten Tänzer männlich? Gekonnt spannt Hjorton Bögen von Olof Palme über Simone de Beauvoir, Isadora Duncan hin zu Lady Gaga. Sie verleiht den Geschichten, die sie an dem spärlich ausgestatteten Radiopult in die Welt hinaustalkt, vertanzt und besingt, eine ungeheure Tiefe. Oft weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll, aber das Reflektieren seiner eigenen Kindheit und Jugend scheint hier unausweichlich. „Radio Dance“ ist ein offener, ehrlicher und erfrischender Festivalbeitrag − Dank sei Angela Glechners feinem Gespür für Talente. Mit „Video killed the Radio Star“ von The Buggles lässt Hjorton ihr Solo ausklingen − hoffentlich ist dies nicht wörtlich zu nehmen… The show must go on!
 

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