„Wir alle, wir haben nie gespart an uns“

Berührendes Porträt über Pina Bausch, eine Jahrhundertfigur der Tanzgeschichte

Mutig: Jetzt erscheint ein neues Buch über Pina Bausch, geschrieben von Anne Linsel, einer Wuppertaler Kulturjournalistin und Dokumentarfilmerin.

Hamburg, 03/07/2013

Mutig: Jetzt erscheint ein neues Buch über Pina Bausch, geschrieben von Anne Linsel, einer Wuppertaler Kulturjournalistin und Dokumentarfilmerin. Kann sie sich gegen die fast unendliche Vielzahl von Artikeln, Kritiken, Werk- und Methodenbetrachtungen sowie biographischen Arbeiten über Pina Bausch behaupten?

Die Pionierin des Tanztheaters heute auf ein Piedestal heben zu wollen, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Linsel entgeht weitgehend dieser Versuchung. Sie nähert sich der Bausch mit quasi objektiver Zuneigung. Selbst wenn sie etwa vom Tod Rolf Borziks, des Lebensgefährten der Bausch, berichtet, wird sie nicht sentimental oder peinlich pathetisch. Es bleibt trotz aller Annäherung ein Abstand, so familiär es zugehen mag. Sie zeichnet prägnant, den Lebensweg Pina Bauschs nach: Von der Jugend im Gasthaus, der Prägung an der Essener Folkwangschule, wo Kurt („Papa“) Jooss sich ihrer verständnisvoll annimmt, über ein Stipendium in New York (1960), die Rückkehr nach Essen, den Übergang nach Wuppertal, wohin sie der unerschrockene Intendant Arno Wüstenhöfer holte und eisern über Jahre zu ihr hielt. Und weiter zu den später folgenden Gastspielen in alle Welt.

Linsel erwähnt ausführlich Krisen, Brüche, die Zufälle, die zu neuen Wegen führten. Weil die Bausch mit ihrer künstlerischen Sensibilität die Möglichkeiten erkannte. Linsel beschreibt die Probleme von Bauschs Probemethode, einer besonderen Herausforderung für das Ensemble, das von Pina mit Fragen konfrontiert wurde, die bis weit in die Kindheit zurückgingen. Eine klare Rektion von ihr auf Vorschläge, Vorträge der Tänzer/Innen gab es nie: „Ich sage ja nie, was gut ist. …Die Tänzer wissen gar nicht, was ich eigentlich suche. Und was ich mit den Dingen mache.“ Dominique Mercy erklärt die gegenseitige Geduld ganz simpel: „Das war eine Liebesbeziehung. Mit allem, was dazu gehört.“Mit Momenten der Freude, der Verzweiflung, des Glücks und der Enttäuschung. „Ich kann nur froh und glücklich sein, dass diese Persönlichkeiten mit mir einen großen Teil ihres Lebens verbringen“, so Pina.

Linsel, jahrzehntelange Wegbegleiterin der Bausch, bröselt so die Arbeitsweise der Bausch von innen auf, gibt einen ungewöhnlichen Einblick in den kreativen Prozess, aus der die außergewöhnliche Intensität von choreografischer Gestaltung und der Ausführung durch das Ensemble hervorgingen. Die künstlerische Kraft der sehr individuellen Frauen und Männer des Wuppertaler Tanztheaters – von Dominique Mercy bis Malou Airaudo, von Mechtild Großmann bis Jan Minarik - verschmolz Pina Bausch zu einem Ganzen. „Jeder hatte etwas Besonderes. Und jeder regte meine Phantasie auf besondere Weise an“, sagte sie. Sie wollte keine Einheitlichkeit à la klassisches Ballett, sondern „ich fand alle meine Tänzerinnen wichtig in ihrer Unterschiedlichkeit“.

Weggehen war in einer solchen Gemeinschaft fast wie ein Verrat, deutet Linsel an. Aber die fast 100prozentige Hingabe lag nicht jedem auf ununterbrochene Dauer. Jo Ann Endikott verließ Wuppertal, um sich anderswo auszuprobieren – und kam wieder. Mercy und Airaudo gingen. „Ich wollte Luft haben, eine andere Art Leben“, erklärt Mercy. Beide kamen zurück.

Jedes Jahr ein neues Stück: Pina gönnte sich keine Atempause - bis ins Jahr 2008 hinein: Dann: Letzter Auftritt am 22.Juni , Tod am 30. Juni. Auch das berichtet Anne Linsel in der Balance zwischen nüchtern und emotional.

Besonders auch die „Bilder eines Lebens“, die die Autorin sorgfältig ausgesucht hat. Sie schlägt Lebensbögen: Porträts des Mädchens (privat), eines der Frau im Todesjahr, Fotos von der Tänzerin, einer Zwischenstation der Bausch, zwei zeigen sie auf Spitze (!), von Begegnungen, von Armstudien (1989), von Proben. Text und Fotos gehen eine Symbiose ein, fügen sich bei Linsel zum berührenden Porträt einer Jahrhundertfigur der Tanzgeschichte. Sie weckt frische Neugier, sich alles Verfügbare von Pina Bauschs Schaffen anzuschauen.
Die angehängte Dokumentation aller Produktionen gibt die Leitschnur.
Sehr lesenswert für Profis und Amateure.

„Pina Bausch, Bilder eines Lebens“ von Anne Linsel. 184 Seiten. Edel Verlag, Hamburg. Juni 2013

 

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