Tag 3 beim Impulse Festival in Köln!
Tag 3 beim Impulse Festival in Köln!

Theater als Ort der Gemeinschaft

Die letzten Eindrücke vom Eröffnungswochenende der Impulse Theater Biennale

Wie deufert&plischke ein „Sacre“-Reenactment durchspielen, wie Fragen zur Rolle des Zuschauers reflektiert werden und wie unzertrennlich Tanz und Theater sind - das erfahren wir im letzten Teil unseres Impulse-Blogs.

Köln, 01/07/2013

Von Miriam Althammer, Anna Donderer und Anna Wieczorek

Es kann kein Theater ohne Zuschauer geben – und so war der Zuschauer seit jeher Thema im Theater – dem Ort des Sehens und Denkens, dem Raum zur Imagination, Bewertung und der Diskussion. Der Zuschauer ist mitverantwortlicher Teil, wird in Position gebracht oder muss diese beziehen. Während Jérôme Bel kräftig am Stuhlbein rüttelt und gemeinschaftliche Strukturen und Sehweisen in Frage stellt, verlagern AndCompany&Co mit ihrem „Der (kommende) Aufstand“ kurzerhand die Protestbewegungen in den Zuschauerraum: Beim Protest zählt nicht, über was protestiert wird – nicht die Empörung, nicht das Engagement – sondern die Beziehungen und Bewegungen zwischen den Körpern. Also lassen sie das Publikum Sätze skandieren, Gesten der Revolution und gemeinschaftlichen Diskussion wiederholen und stellen so ein (Ein)Verständnis zwischen verschiedenen Codes her. Bei durational performances wie von Showcase Beat Le Mot oder deufert&plischke, bei denen gemeinsam gegessen, gegangen oder gebastelt wird, entstehen Gemeinschaften, die sich immer wieder neuformieren, auf unterschiedliche Arten (auf)teilen und zusammenfinden. Das diesjährige IMPULSE-Festivals feiert das Theater als Ort der Gemeinschaft!

Ver-Wandelt: deufert&plischke
Eine Stunde bewegen, eine Stunde rezipieren, eine Stunde kreieren, eine Stunde in eine Rolle schlüpfen – im „Entropischen Institut Mülheim“ von deufert&plischke durchschreitet man viele Wandlungsstufen. Schwelle um Schwelle führt zur Transformation.

Aufwärmen: „Betreten Sie die Tanzfläche. Nehmen Sie sich Zeit und wählen Sie insgeheim zwei Personen im Raum als ihre Tanzpartner.“ So beginnt die erste Anweisung, die auf kleine Kärtchen gedruckt am Eingang überreicht wird. Gleichförmiger Trommelwirbel ertönt, die jedem bekannte Melodie der Querflöte füllt langsam den Raum und schon wiegen wir uns im 3/4-Takt zu Ravels „Boléro“. Inmitten weniger Parameter – eine klar gekennzeichnete Fläche, Konstellationen von Körper und dem musikalischen Zeitfenster – entsteht eine temporäre Gemeinschaft, die sich während der nächsten vier Stunden und im offenen Format des Entropischen Instituts immer und immer wieder verändern wird.

(1) Ortswechsel. Vor dem Ringlokschuppen in Mülheim. Im Audio-Walk wenden sich nun Stimmen des Entropischen Instituts an die Besucher. Medusa-Mythologie und die Musik des „Sacre du Printemps“ umfangen die Spazierenden und verbinden sich mit dem öffentlichen Raum. Geigengesäusel und das Bild des abgeschlagenen Haupts mit den Gänsen im Teich des Schlossparks, drohendes Kontrabass-Grollen und eine laue Windbö beim Weg über die Brücke der Ruhr. Die Körper entspannen und öffnen sich. Eine Kopfwendung nach rechts, ein Fuß setzt sich vor den anderen. Wie oft hat man sich diese Art Soundtrack des Lebens schon vorgestellt, wenn man durch die Straßen einer Stadt läuft und ihre Stimmungen Lieder evozieren. Diesmal also „Sacre“.

(2) So schnell versunken in dieser Blase der Wahrnehmung, wird sie einem auch schon wieder entrissen. Der bewegte Körper zwingt sich in den bequemen Sessel zur Lecture. Rezipieren, zuhören, nachdenken, gesammelte Eindrücke mit den träge hingeworfenen Brotkrümeln des belgischen Philosophen Boyan Manchev verbinden. Ich höre Hänsel und Gretel, Bataille, Medusa und wünsche meinen Körper wieder zurück auf die Straße mit dem Knopf im Ohr. Zurück zu den Stimmen, der Musik, dem Außen und dem Allein-Sein im Gemeinsamen.

(3) Doch dieser Zustand will verdient sein. Eine Maske basteln steht auf dem Programm, bevor sich alles im furiosen Finale des „Sacre“-Reenactments auflöst.

(4) Maskieren, verkleiden, in eine Rolle schlüpfen. Um Anweisungen befolgend zu tanzen, sich zu bewegen. Verhüllt präsentiert man sich in der Aneignung der auf den Kärtchen beschriebenen Bewegungen. Kopiert unwillentlich Bewegungsvokabular früherer Choreografien und kreiert für sich und in der temporären Gemeinschaft seinen eigenen „Sacre“. Meine Hände strecken sich, der Körper liegt wartend auf dem Boden. Blicke schweifen suchend umher, Laufschritte ziehen Bögen über die Tanzfläche. Jeder, ganz für sich hinter seiner Maske, füllt zusammen den Raum.

Be-Schützt: Cecilie Ullerup Schmidt/Matthias Meppelink
Ausgangspunkt der Performance „Schützen“ von Cecilie Ullerup Schmidt und Matthias Meppelink bildet die Frage, inwiefern der tägliche Gebrauch von Waffen den eigenen Körper beeinflusst. Und auch wenn das Ergebnis dieser körperlichen Recherche viel zu wenig im Köper der Performerin Ullerup Schmidt zu finden ist, schafft die Performerin mit „Schützen“ etwas erstaunliches. Denn statt ihres eigenen Körpers wird der Körper des Zuschauers im Laufe des Abends zu einem (imaginativen) Soldatenkörper. Obwohl diese Vorstellung nur ein Gedankenspiel ist und damit eigentlich gängigen Theatermechanismen entspricht, sind es gerade diese Mechanismen die Ullerup Schmidt und Meppelink mit „Schützen“ kurzzeitig abschaffen: Am Ende des Abends gibt es keinen Applaus – schließlich hat man ja noch sein ganzes Leben vor sich (was, umgerechnet in „Theaterzeit“ ungefähr 60 Minuten bedeutet) und sollte daher schleunigst anfangen sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Als israelische/r Jungsoldat/in, die oder der nach vierjähriger Ausbildung und kurzzeitiger Fronterfahrung plötzlich mitten ins Leben geworfen wird, bleibt einem dafür die Wahl zwischen verschiedenen „Kursen“: Entweder übt man mit Miniaturflugzeugen auf der Bühne fliegen, belegt bei einer freundlichen Sprachlehrerin einen Anfängerkurs in arabisch, oder man geht gleich zur vorbereiteten Tafel mit vielseitigen kulinarischen Angeboten über, um dort gemeinsam den Abend ausklingen zu lassen

Die doppelte Bedeutung des Wortes „Schützen“ zieht sich somit nicht nur inhaltlich durch den Abend, sondern auch durch die künstlerische Strategie, den (geschützten) Rahmen der Illusionsmaschine Theater zu verlassen und den Zuschauer immer wieder zwischen Beschützter und durch einen Schützen bedrohter Situation hin und her zu treiben. Und das mit dem sehr sympathischen, immer leicht ironischen Unterton, mit dem Ullerup Schmidt Anweisungen an ihre Schützlinge verteilt: „No worries, any kind of violence is just symbolic. So if some strangers enter the stage and shoot you down, this is not part of the performance.“

Be-Hindert?! Jérome Bêl
Über Nacht sind die Diskussionen über und um „Disabled Theatre“ nicht abgeklungen. Giancarlo Marinucci erzählt in einem Interview von der Arbeit des Theater HORA und der Zusammenarbeit mit Jérome Bel. Die Frage, inwiefern die Schauspieler bei der Performance ihre eigene „Rolle“ reflektieren, wurde ihm schon oft gestellt. Marinucci erklärt, dass das Theater HORA Schauspiel-Praktiker ausbildet. Die Teilnehmer sind als Schauspieler angestellt. „Schon durch die Vertragsunterzeichnung sollte klar sein, dass es ihr inniger Wunsch ist auf der Bühne zu stehen.“ Seiner Meinung nach sind sie sich darüber bewusst, dass sie auf der Bühne stehen, dass sie eine Rolle spielen. Auch wenn ihre Rolle hier ist, sich selbst zu spielen. Er fügt trotzdem hinzu: „Inwieweit sie es wirklich verstehen, dass weiß ich nicht.“

Aber keines der Stücke des Theater HORA hat gemäß Marinucci ähnliche Reaktionen erzeugt wie „Disabled Theatre“. Was bleibt ist, dass das beklemmende Gefühl des Abends vom Zuschauer ausgeht. Er muss sich seiner Rolle bewusst werden und muss Entscheidungen treffen. Und das ist, neben allen emotionalen Ausbrüchen, die Chance von „Disabled Theatre“: Die Rolle des Zuschauers in den Vordergrund zu rücken, sie wieder wichtig und unabdingbar zu machen.

Stich-Wort: Tanz?!
Florian Malzacher bietet dem Zuschauer im Programmheft ein Glossar verschiedener Stichworte an, die immer den richtigen IMPULS zum jeweiligen Thema des Abends liefern. Neben dem Stichwort ZOO befindet sich in der Sammlung auch einer zum Thema ZUSCHAUER sowie Gedanken zum Begriff CHOREOGRAFIE. Gerald Sigmund begreift dieses Stichwort in seinem kurzen Abschnitt, als eine Chance Körper in Bewegung zu bringen, indem sie „sie mit Dingen konfrontiert, die weder Tanz noch Bewegung sind. Verstanden als körperliche Beziehung zu Sprache, Text, Anweisungen und Regeln ist jede Form von Theater potentiell choreografisch.“

Dadurch wird deutlich, warum Tanz im Kontext des Festivals IMPULSE nicht als „Tanz“ ausgewiesen sein muss, um Tanz zu sein. Darüber freuen wir uns und genießen die Grenzgänge zwischen den Disziplinen, die wir kaum noch als solche wahrnehmen.

Wieder in München angekommen senden wir einen letzten virtuellen Gruß zum Chez-Icke-Barvartar nach Mülheim – und weiter.
 

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