„Romeo und Julia“ von Jean-Christophe Maillot. Tanz: Anja Behrend und Stephan Bourgond 

„Romeo und Julia“ von Jean-Christophe Maillot. Tanz: Anja Behrend und Stephan Bourgond 

Sturm und Drang

„Romeo und Julia“ in der Choreografie von Jean-Christophe Maillot mit den Ballet de Monte-Carlo zu Gast in Hamburg

Mit seiner jungen, dynamischen Version des Shakespeare-Klassikers überzeugt Jean-Christophe Maillot das Hamburger Publikum.

Hamburg, 20/06/2013

Es gehörte zum Konzept der diesjährigen Hamburger Ballett-Tage, dass der Intendant Kompanien einlud, deren heutige Chefs frühere Tänzer des Hamburg Ballett waren – und zur Feier des 40-jährigen Jubiläums waren es sogar zwei Gastspiele – und nicht nur eines wie sonst. Vor kurzem war Ivan Liška mit dem Bayerischen Staatsballett zu Gast, jetzt Jean-Christophe Maillot mit den Ballets de Monte-Carlo, die er seit 20 Jahren leitet. Er hatte die eigene Fassung von „Romeo und Julia“ von 1996 im Gepäck – was einen reizvollen Vergleich zu der Hamburger Version von John Neumeier ermöglichte, die im April 2013 wiederaufgenommen worden war.

Zu Beginn geht es los wie im Kino – die Namen der Figuren und ihrer Darsteller samt Choreografie und Ausstattung werden auf offener Bühne in schwungvoller weißer Schrift auf große schwarze Flächen projiziert, begleitet von den ersten Takten der Musik (die Maillot insgesamt etwas gekürzt und collagiert hat). Aber dann folgt doch eine ganz normale Vorstellung. Drei Tänzer kommen auf die Bühne – Pater Lorenzo (berührend: Alexis Oliveira) und zwei Ministranten. Bei Maillot ist der Mönch nicht mit einer Kutte, sondern eher weltlich gekleidet – mit einem eng anliegenden schwarzen Anzug und weißen engen Ärmeln. Als Figur zieht er sich wie ein roter Faden von Anfang bis Schluss durch die gesamte Vorstellung – für Maillot ist Lorenzo neben den beiden Protagonisten die Hauptperson. „Indem er Julia das Gift aushändigt, gibt er ja den Ausschlag für das tragische Geschehen“, erklärt er im Interview (das in Kürze auf tanznetz veröffentlicht werden wird). Und zum Schluss steht er bedrückt, hilflos und trauernd in der Kulisse – als würde er sich fragen: Was hab ich hier bloß angerichtet?

Maillots Choreografie ist temporeich, dynamisch, mit vielen Battements und Attacke, das geht Schlag auf Schlag – ob es die Begegnungen der beiden Liebenden sind, die Balgereien der jungen Männer, die Konfrontation von Mercutio und Tybalt oder der Tochter mit der Mutter (Julias Vater gibt es bei Maillot nicht). Da ist kein Platz für Getragenes, da gibt es kein Innehalten, kein In-sich-Gehen.

Maillot erklärt das aus der Dynamik der Jugend: „Mit 15 oder 16 ist man doch ständig in Bewegung – da gibt es keine Stille, kein langes Nachdenken, das wollte ich zum Ausdruck bringen“, sagt er. Anders als in vielen anderen Interpretationen misst Maillot auch Julia eine zentrale Bedeutung zu – s i e ist die treibende Kraft in der Liebesbeziehung, s i e küsst Romeo (nicht umgekehrt), s i e holt ihn in ihr Bett. Wie auch die Amme sehr viel jünger und präsenter als in anderen Versionen ist. Maillot liefert damit eine in sich durchaus schlüssige, höchst moderne Fassung des Shakespeare-Dramas ab.

Als Julia ist Anja Behrend auf die Bühne der Hamburgischen Staatsoper zurückgekommen – von 1997 bis 2007 war sie beim Hamburg Ballett als Tänzerin engagiert. Und einmal mehr bedauert man ihren Weggang (damals zuerst zu Eric Gauthier ans Stuttgarter Theaterhaus). Sie zeichnet die Julia als selbstbewusste, moderne junge Frau, die genau weiß, was sie will und das auch durchzusetzen versteht. Stephan Bourgond ist ein stürmischer Romeo, aber ohne jede Macho-Allüre und mit umso mehr Hingabe und Feingefühl. Asier Uriagereka gibt einen furiosen Tybalt, den Jeroen Verbruggen als Mercutio und Raphael Bouchard als Benvolio mit jugendlich-rüpeliger Albernheit aufsticheln. April Ball als Lady Capulet erinnert in vielem an Zizi Jeanmaire, vor allem, weil sie einen raspelkurzen Haarschnitt trägt. Sie pflügt mit wilder Attacke durchs Geschehen, immer ganz in Schwarz gekleidet.

Womit es angebracht ist, etwas zu den sehr schönen Kostümen zu sagen, für die der 1964 in Paris geborene Jérôme Kaplan verantwortlich zeichnet. Er hat alle Darsteller mit meist figurnahen, schlichten und deshalb umso wirkungsvolleren Gewändern ausgestattet, die in Metalltönen schimmern und oft an Kimonos erinnern. Julias Kleid ist ganz in Gold gehalten und fließend weit geschnitten, ihr Nachtgewand in nudefarbenem Mousselin, während Rosalinde in silbrigem Grau erscheint, Paris dagegen in duffem Goldbraun.

Das passt alles großartig zum Bühnenbild von Ernest Pignon-Ernest aus wenigen weißen verschiebbaren Wänden. Sie dienen als Projektionsfläche für das Licht, aber auch für einen langgezogenen Kreuz-Schattenriss in der Schlussszene. Schade nur, dass Maillot die schräge Rampe, über die viele Auftritte zwischen den großen Wänden platziert sind, nicht noch mehr nutzt – hier wäre noch Luft für Kreativität.

Das Hamburger Publikum quittierte die Vorstellung in der – trotz der gleichzeitig in der Michaeliskirche stattfindenden Neumeier-„Matthäus-Passion“ fast ausverkauften – Staatsoper mit großem Jubel und Standing Ovations.
 

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