„Das Nibelungenlied“ von M. Schröder. Tanz: Isis Calil de Albuquerque und Tyler Galster 

„Das Nibelungenlied“ von M. Schröder. Tanz: Isis Calil de Albuquerque und Tyler Galster 

Auch eine Art Wagner zu ehren

Mario Schröders Ballett „Die Nibelungen“ in Leipzig ohne einen Ton von Wagner

Der Leipziger Choreograf lässt die Band „Kante“ und „The Notwist“ live auf der Bühne spielen und Siegfried seine Heldenzuschreibungen in Frage stellen.

Leipzig, 17/06/2013

Noch läuft es auf Hochtouren, das Wagnerjahr 2013. Vor 200 Jahren wurde der Komponist in Leipzig geboren. Die Leipziger Oper leistet Erstaunliches, die so gut wie unbekannten Jugendwerke „Die Feen“ und demnächst auch „Das Liebesverbot“ sind im Repertoire. Der gigantische Zyklus „Der Ring des Nibelungen“ wird ebenfalls inszeniert. Auf das Vorspiel „Das Rheingold“ folgt in der nächsten Saison „Die Walküre“.

Auch das Ballett widmet sich Wagner: mit Choreografien von Silvana und Mario Schröder kam ein erfolgreicher Abend zu Musik von Wagner in den Spielplan. Das gab es auch schon an anderen Orten, man denke nur an die Sensation „Ring um den Ring“ von Maurice Béjart in Berlin, an Kristóf Pásztors „Tristan“ in Stockholm und Warschau, oder an „Die Nibelungen - Siegfriedsaga“ von Tomasz Kajdanski, zu Musik aus Wagners Ring in Dessau, dem einstigen „Bayreuth des Nordens“.

Wagners Ring Tetralogie bezieht wesentliche Anregungen und Handlungsmotive samt Hauptpersonen aus der mittelalterlichen Dichtung, die in der deutschen Romantik wieder entdeckt wurde. Mario Schröders Ballett in Leipzig widmet sich als besonderen Beitrag zum Wagnerjahr diesem Epos um machtlose Helden, die den Untergang einer Kultur durch Selbstzerstörung nicht aufhalten können. Höchst interessant: Es gibt keine Musik von Richard Wagner! Dafür Live Musik der Gegenwart, Jazz, Pop, Rockelemente, Anregungen durch den Stummfilm „Die Nibelungen“ von Fritz Lang aus dem Jahre 1924, dem Urgroßvater der Fantasy-Blockbuster.

Zu erleben ist ein zweistündiger Abend mit einer fortlaufenden, assoziativen Handlung. Die folgt einem Libretto von Beate Andres, das sich am Epos orientiert. 20 knappe Bilder mit einem Prolog, in dem Siegfried von Volker, dem Spielmann, eingeführt wird. Dann folgen wir Kriemhilds Weg, vom Kind mit den Brüdern Gunther, Gernot und Gieselher, über die Begegnung und Heirat mit Siegfried, der Betrug an Brünnhild und der Tod Siegfrieds (der hier von Hagen regelrecht „ausgetreten“ wird), Kriemhilds Heirat mit König Etzel, Hagens Mord an deren Kind und schließlich die alles vernichtende Rache.

Die Musik dazu - eben nicht von Richard Wagner - sondern von Thomas Leboeg von der Band „Kante“ und Andi Haberl von „The Notwist“ wird live gespielt. Flügel, Tasteninstrumente, Schlagzeug, Percussion, zugespielte elektronische Sounds und Geräusche, die mit unterschiedlichen Materialien erzeugt werden. Man hat schon den Eindruck, es sei alles im Laufe der Erarbeitung des Balletts entstanden, manche Klangflächen wirken meditativ, andere sind stärker rhythmisch, wirken als entstünden sie gerade. Man kann auch an Filmmusik denken, wenn die entsprechenden Szenen kommen.

Mario Schröder nennt seine Arbeit „Ballett“ − das ist gerechtfertigt. Er konzentriert sich stark auf die Hauptpersonen, insbesondere Kriemhild, die von vier Tänzerinnen dargestellt wird. Zunächst das funktionierende Kind − da kommen klassische Elemente vor − eine Art Puppe wie Coppélia auf Spitze. Dann die junge, zarte und zärtliche Kriemhild, und − großartig getanzt von Isis Calil de Albuquerque − die tragische Kriemhild, die dann noch eine zweite Variante hat. „Kriemhilds Trauer“ heißt die Rolle für die Tänzerin Urania Lobo Garcia − das waren die stärksten Szenen, denn aus der nicht bewältigten Trauer kommen die Rache und das Verderben.

Schröder nutzt Elemente der Traditionen des neueren Tanzes, manchmal war man auch an den Ausdruckstanz erinnert. Dann kann er leicht und zeitgenössisch sein, dann wieder hart, ja auch regelrecht spröde, aber es entstehen viele bewegte und vor allem bewegende Bilder, nicht zuletzt im tänzerischen Dialog mit dem Film.

Man gewinnt den Eindruck, die Filmzuspielungen im bemerkenswert gut funktionierenden gnadenlos schwarzen, leeren Bühnenraum von Andreas Auerbach und Paul Zoller auf zwei beweglichen großen Wänden spiegeln so etwas wie die zu fiktionalen Abbildern gewordenen Menschen. Die Tänzerinnen und Tänzer tanzen gewissermaßen gegen die Heroisierung an. Sie sind dagegen die „kleinen“ Menschen. Siegfried legt zu Beginn seine jahrhundertealten Schutzhäute ab, also die Heldenzuschreibungen. Er macht sich verletzlich, menschlich.

Und Kriemhild emanzipiert sich ebenso. Aber das geht nicht gut, ein sogenanntes oder als solches auch missbrauchtes nationales Heldenepos hat die Toten lieber als die Lebenden. Den Toten gilt die Verehrung, den Lebenden wird sie verweigert. ario Schröders Ballett ist ein Versuch dieses Missverständnis durch die schutzlose Zerbrechlichkeit des Tanzes aufzubrechen.
 

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