Gelungenes Tanzpotpourri

Tarek Assam konnte zur elften TanzArt ostwest in Gießen, die traditionell an Pfingsten stattfindet, zahlreiche Gäste in Gießen willkommen heißen. Vor allem bei der Tanzgala am Samstagabend im Stadttheater war das Haus bis auf den letzten Stehplatz gefüllt. Der Gießener Ballettdirektor ist Mitbegründer und Leiter dieses auf Austausch beruhenden Tanznetzwerks, das mittlerweile sogar bis China reicht.

Zwei chinesische Gruppen waren gekommen: die 12-köpfige Ensemble aus Beijing (=Peking) war eigens für die Tanzgala gekommen, die Shenzhen Dance Company von der dortigen Kunstschule wohnte seit Ende Mai in Gießen und war an mehreren Projekten aktiv beteiligt. Diese Kontakte hatte Assam im vergangenen Jahr geknüpft, die Tanzcompagnie Gießen (TCG) war im November erstmals auf Gastspielreise in China. Außerdem ist sie für diesen Sommer mit „Macbeth“ zum Beijing Dance Festival eingeladen.

Die Beijing Dance LTDX-Company wurde 2005 von Willi Tsao gegründet und war die erste regierungsunabhängige Tanzcompany Chinas. Tsao ist in Hongkong aufgewachsen und tanzte mehrere Jahre in den USA, bevor er zu den großen Ensembles des zeitgenössischen Tanzes in der Volksrepublik China kam. Obwohl also klar war, dass „Sorrowful Song“ ein zeitgenössisches Tanzstück ist, war es doch in seiner Deutlichkeit überraschend. Es erinnerte sogar an deutschen Ausdruckstanz in Kostümen, Bewegungen und Expressivität.

Basis war die 20-minütige Symphonie von Henryk Gorecki und es wirkte wie das große Klagelied der Menschen. Tod, Gewalt und Verlust werden ausdrucksstark beschrieben, doch am Ende regt sich Widerstand. Aus einer Gruppenerschießung wird das Werfen von Farbbeuteln. Der künstlerische Leiter Li Han-Zhong erzählt auf Befragen, dass er sich schon lange mit dem Thema beschäftige, wie Menschen Leid zugeführt wird und wie sie sich dagegen wehren. Er sieht es als ein weltweites Problem. Dennoch hätten sie es noch vor zehn Jahren so nicht aufführen können, meint Direktor Tsao.

Die Shenzhen Dance Company reiste mit dem Stück „Grimm Dances“ an, das zur Eröffnung der hessischen Landesausstellung „Expedition Grimm“ in der Kasseler Documenta-Halle uraufgeführt wurde. Es entstand auf Nachfrage des Wissenschaftsministeriums und als choreografische Kooperation von Tarek Assam, Guido Markowitz (Köln) und Liu Jitao (Shenzhen). Ziel war es, Elemente des traditionellen chinesischen Tanzes mit zeitgenössischem Tanz zu kombinieren. Die Grimm Dances wurden bei der letzten TanzArt-Vorstellung auf der Studiobühne im TiL noch einmal gezeigt und das Publikum war begeistert.

Fünf Märchen waren es: Goldmarie und Pechmarie aus „Frau Holle“, Rumpelstilzchen und Rapunzel, Rotkäppchen und Hänsel & Gretel. Mit zauberhaften Kostümen, chinesischer (Pop)Musik, Akrobatik und schauspielerischem Ausdruck. Zum Auftakt der TanzArt hatte die Gruppe schon in dem Stück „Von den Winden“ von Daniel Goldin mitgewirkt, sie waren mit kurzen traditionellen Stücken nicht nur während der TanzArt, sondern zuvor schon in Gießener Schulen aufgetreten, wo sie auch unterrichteten. Dieser Teil wurde ermöglicht durch die Zuwendung der Bundeskulturstiftung im Bereich „Education“, in die auch die TCG eingebunden ist.

Die meisten der 15 Beiträge zur TanzGala kamen von festen Ensembles an deutschen Stadt- und Staatstheatern (Bemerhaven, Dortmund, Greifswald-Stralsund, Hagen, Koblenz, Mainz, München, Ulm, Wiesbaden, Würzburg). Wobei zu Beginn und am Ende die ungewöhnlichen Stücke gesetzt waren. Die meisten Beiträge waren neoklassische Pas-de-Deux, mal elegisch getragen, mal körperbetont ästhetisch, einige dramatisch, romantisch oder auch witzig. Die Vielfalt war beeindruckend groß, die drei Stunden vergingen im Fluge.

Den Start machte der einzige Beitrag aus Osteuropa: vom Ballett Poznan (Posen) kam Shino Sakurado mit einem Solo zu „Sacre du Printemps“, choreografiert von Paul Julius. Zugleich hat das Stadttheater Gießen als eines der ersten mit diesem Beitrag das 100-jährige Jubiläum der „Mutter aller Ballettmusiken“ gewürdigt (UA 29. Mai 1913).

Und am Ende beeindruckte das Stück „Zero“ aus Heidelberg. Dort wurde nach längerer Zeit ohne ein Tanzensemble wieder eines gegründet und mit Nanine Linning eine bemerkenswerte choreografische Leiterin gewählt. Mit ihrem Stil scheint sie der Schwerkraft ein Schnippchen zu schlagen. Die ständige Bewegung der Tanzenden erschafft immer neue, schließlich sogar raumgreifende Tanzskulpturen.

Die Tanzgala wurde moderiert von Tarek Assam und Sabrina Sadowska, Leiterin der bundesweiten Stiftung „Transition“, über die Tänzer nach ihrer aktiven Bühnenphase unterstützt werden, den Weg in einen neuen Beruf zu finden. Die TCG sammelt bereits die ganze Spielzeit über Geld für „Transition“ und wird sich auch an der nächsten Gala in Darmstadt (1. Juni) beteiligen.

Studiobühne TiL mit drei Vorstellungen
Auf der Studiobühne TiL kamen außer den Beiträgen des Pfalztheaters Kaiserslautern (aus dem Programm „Engelslieder“) und dem Theater Nordhausen („Drei“) alle Stücke von freien Ensembles und eines von Studierenden der Palucca-Schule Dresden. Hier tanzte auch, wie oben erwähnt, das Shenzhen Dance Ensemble.

Ein Geschenk an die TCG nannte Robert Przybil sein neues Solo „No more then...“. Der polnische Tänzer aus Bremen hatte im vergangenen Herbst das Stück „Hypnotic Poison“ mit der TCG einstudiert. Aus den Filmaufnahmen, die er dabei machte, hat er ein wunderbares Video gestaltet, das er in den Tanz integrierte. Berührend! Der künftige Gastchoreograf der TCG, Paul Julius, kam mit seiner Company J.A.P. und zeigte ein ernstes Tanzstück über Integration („Spaces Between“), das durch beherzte Straffung mehr Spannung erzielen würde.

Desweiteren zu sehen waren: Delattre Dance Company aus Mainz mit „Meeting Point“, Breathing Art Company aus Bari mit „The Ugly Duckling“, La Verita Dance aus Brüssel mit „CV“, Comp. Irene K. aus Eupen mit „Fleurs“, und das neue Duo Magalie Sander Fett & Tim Gerhards mit ihren witzigen „Small Stories“.

Ein insgesamt großartiges Programm, das den Kompanien untereinander die Möglichkeit zum Austausch bietet und die Region Mittelhessen in den Blickpunkt der Tanzszene rückt.

Links: Tanzart Ostwest, Tanzcompagnie