Don Q geht stempeln

Stefan Haufes neuer „Don Quichotte“

Schwerin, 20/09/2002

Sie hat die Faxen dicke, explodiert in einen Tanz der Empörung über ihren nichtsnutzigen Gatten, der herumsitzt und liest, anstatt sich Arbeit zu besorgen. Die aufmüpfige Tochter Kitri rebelliert, schmeißt Teller hin, wirft Stühle um: schöne Familienverhältnisse bei Quichottes. Stefan Haufe, Ballettchef in Schwerin, versetzt die Geschichte des Ritters von der traurigen Gestalt in eine ziemlich graue Gegenwart, mit der klassischen Vorlage Petipas hat er nicht viel im Sinn. Eine kluge Entscheidung, denn in seinem gegenwärtigen Ensemble wären wohl nur wenige dem virtuosen klassischen Stil gewachsen.

Basilio ist ein Straßenmusikant mit Flickenhose, Sancho Pansa ein schmuddeliger Obdachloser, Dulcinea eine Schaufensterpuppe, die sich in eine Vision verwandelt: Im Tutu bewegt sie sich auf Spitze wie eine Reminiszenz ans Original. Auf einer von schräg gekippten Gebilden umstellten, schnell verwandelbaren Bühne (Michael Haufe) läuft das anfangs realistisch getönte Drama des arbeitslosen Don Quichotte ab, das sich zum Finale hin etwas unmotiviert mehr und mehr in eine Traumwelt verwandelt. Und dazu ertönt die mal schneidige, mal sentimentale Musik von Ludwig (Léon) Minkus, vom Schweriner Orchester unter Florian Frannek durch robusten Zugriff noch mehr vergröbert, für feinere Differenzierungen ist kaum Platz.

Haufe hat die Rollen typgenau besetzt: Bernd Lanzke verliert als dürrer Quichotte trotz intensiver Darstellung nicht die tänzerische Linie. Davina Kramer serviert die Kitri als schnippische Göre, Jose Martinez Grau lässt den Basilio zwischen Frechheit und Ängstlichkeit schwanken. Das tänzerische Ereignis ist Leticia J. Latrónico: Fulminant, technisch sattelfest, tanzt sie mit vulkanischem Temperament die Frau des armseligen Quichottes, kostet die Spannweite zwischen Aggression, Verzweiflung und plötzlicher Zärtlichkeit aus. Dynamisch, mit gut getimten Szenen, kraftvollen Sprungsequenzen, geschicktem Wechsel von Solo, Duo, Trio und Gruppe, musikalisch einfühlsam choreografiert, huscht der erste Teil unterhaltsam vorüber, der zweite Teil fällt dagegen ab.

Haufe schickt seinen Quichotte zum Arbeitsamt, auf dem ihm herzlose Bürokraten beiderlei Geschlechts fertig machen, bis er selbst zum Angriff übergeht und kläglich verliert. Über weitere Stationen, wie den „Ritterstuben“, der Begegnung mit dem Barbier und der Vision, landet Quichotte schließlich schlafend im Lehnstuhl, die Musik zum Grand Pas de deux klingt aus dem Lautsprecher eines Radios. Das Buch entgleitet seinen Händen, er sackt in sich zusammen. Vom gesellschaftskritischen Anfang mag dieses Ende nichts mehr wissen. Dennoch: ein lohnender Abend.

Kommentare

Noch keine Beiträge