Judson Church
Judson Church

Ein Blick über den Ozean

Die New Yorker Tanzszene

Postmodern Dance, Broadway und New York City Ballet – kaum ein Tänzer, kaum eine Tänzerin träumt nicht von New York – der Wiege verschiedenster Tanzsparten seit der Mitte des 20. Jahrhunderts.

New York, 30/04/2013

Einmal auf einer der Bühnen zu stehen, in einem der unzähligen Tanzstudios zu trainieren. Was weiß man eigentlich fernab der Mythen über diese Szene? Was passiert aktuell? Vier Wochen sind nicht viel Zeit, um eine umfangreiche Perspektive darauf abzubilden, und doch Einblicke zu geben – von Mårten Spångbergs „Dancing Seminar“ im Performance Space des MoMA über Paul Taylor bis hin zu Simone Forti und den immer noch aktiven Grandes Dames der Kontaktimprovisation.

Und dann gibt es ja noch die vielen Off-Off-Performances quer durch das East Village und Brooklyn, die sich allesamt als experimentell und innovativ bezeichnen. Wie „The CURRENT SESSIONS“, womit der Blick darauf freigegeben werden soll, was Tanz im Moment ist (nicht sein kann!), sich aber in einem langweiligen Abend mit erstklassigen Tänzern und belanglosen Schauchoreografien verliert. Fast alle der kurzen Nummern – von Soli bis Gruppenstücke ist alles dabei – kranken an einem Durst nach Aufmerksamkeit und erschöpfen sich in „radikalen“ Künstlerposen eines Zwanzigjährigem, dem Contemporary Ballet vierer Grazien, die kaum ihren feurigem Blick vom Publikum abwenden können, zu schön geschminkten Frauenstereotypen und mittelmäßiger Performance.

Allein Astrid von Ussars „Without Walls“ lässt mit dem Aufeinandertreffen dreier Frauen Körper entdecken, die erzählen, handeln, faszinieren können. Und auch Chihiro Shimizus Duett „one hundred lies to tell you the truth“ vereint zwei Körper, denen man gerne folgt – dem Prozess des Anpassens und Abstoßens, dem Gemeinsamem der ungleichen Körper, der langen Gliedmaßen und kleinen Gesten, die immer wieder Lücken finden.

Doch das sind Ausnahmen. Kleine Lichtblicke zwischen den Tänzern, die zu Soldaten ihrer Choreografie geworden sind. Mechanische Körper, die virtuose Bewegungen – genannt zeitgenössisch – vollführen und das Publikum berieseln. So unterscheidet nur noch wenig zeitgenössische Strömungen vom Ballett, von dem man sich vor über hundert Jahren schon verabschiedet hatte.

Das Potential des Tanzes liegt woanders. Zeitgenössischer Tanz kann aktuell sein, einem steten Prozess der Veränderung unterliegen und dadurch in eine Interaktion mit dem Publikum treten, die nicht zwingend auf Partizipation hinauslaufen muss. Als stummer Beobachter, halb abgewandt oder im aktiven Prozess, egal ob im Theater- oder Museumsraum, alle Zuschauerhaltungen sind möglich, solange der Tanz nicht seiner Kraft beraubt wird und mehr bleibt als schöne Bewegung, gefangen im Korsett von Choreografie und Musik.

Dieser Paradoxie geht auch Mårten Spångberg nach, dessen „Dancing Seminar“ vom wachsenden Interesse der Museen an Tanz und Performance zeugt. Eingeladen, um über Tanz zu sprechen, wird seine Lecture erstmal auf den kalten Steinboden verlagert, der Körper in eine uns fremdgewordene Position gebracht. Man reckt sich auf der Decke, macht es sich im Schneidersitz bequem, stützt den Kopf auf die Knie. Das enfant terrible der europäischen Tanzszene, das der Performer, Choreograf und leidenschaftliche Blogger Spångberg ein bisschen ist, will letztendlich das machen, was die Sparte ausmacht: Tanzen, in Aktion treten und Tanz als eine Wissensform begreifen, die sich nicht im trockenen Diskurs erschöpft.

Und so kann man das „Dancing Seminar“ auch als Fortschreibung seines Mega-Projekts „Swedish Dance History“ begreifen, das weder etwas mit Schweden noch mit historischen Begebenheiten zu tun hat. Es ist eine Geschichte, die sich im Moment schreibt und von jedem geschrieben werden kann. Über Jahre hinweg sollen 20000 Seiten entstehen als Zeugnis davon, was Tanzschaffende bewegt. Spångberg sammelt Essays, Aneinanderreihungen von Wörtern und eben vielleicht auch (Inter)Aktionen wie das „Dancing Seminar“, in dem er von Yvonne Rainers „Trio A“ als Tanzskulptur spricht, über Umberto Eco und den Konzepttanz zum Goldstandard und dessen Bedeutungswandel in der Moderne gelangt.

Judson Church – Geburtsstätte des Postmodern Dance in den 1960er Jahren. Der unscheinbare Bau geht fast unter neben dem großen Triumphbogen am Washington Square, den zahllosen Gebäuden der New York University, den ersten Häusern von Greenwich Village. Man stelle sich vor, wie sich damals Yvonne Rainer und Steve Paxton trafen, Andy Warhol sich vom unweit entfernten Union Square und seiner Factory zu einem der concerts auf den Weg machte... Ja, das Erbe der Nachkriegsavantgarde wiegt schwer.

Um an jenes anzuknüpfen, veranstaltet Movement Research – ein Laboratorium für Bewegung und Tanz – jeden Montagabend eine kuratierte Reihe verschiedener Tanz- und Performance-Arbeiten, die Einblick gibt in deren Entwicklungsprozesse. Ausgewählt durch eine Jury zeigen sie das Ausprobieren, das Experimentieren, den Tanz in allen möglichen Variationen.

Wie zum Beispiel die site-specific-work „Dog House II“. Kiste an Kiste baut Yve Laris Cohen quer durch den Raum der alten Kirche und schlägt in einer Akribie einen Nagel nach den anderen in das Holz, um am Ende alles wieder abzubauen bis sogar das Publikum aushilft, Teppiche zusammenrollt und seine eigenen Sitzgelegenheiten stapelt.

Ähnliche Nummernstrukturen besitzen auch die übrigen Performance-Abende. Kurze Arbeiten aneinandergereiht – mal für einen Tänzer, mal für mehrere – bieten so möglichst vielen Künstlern die Möglichkeit, sich zu zeigen. Konzepte sind dabei meist nebensächlich. Wummernde Beats, glanzvolle Kostüme, Duette voller Tragik. So auch bei den verschiedenen Abenden im Dixon Place oder bei der Israeli Dance Week im LaMama Theatre Club (Kooperation: Visa Productions).

Tanzfilme holen den öffentlichen Raum auf die Bühne. Fast surreale Welten entspannen sich mit den Schichtungen, die die beiden Tänzer in „Private I's“ erzeugen. Sie drehen sich gedankenverloren durch eine Landschaft, performen slapstickhaft unter eine Brücke, konfrontieren ihre Körper mit Passanten und Architekturen. So entstehen eigenartige Kombinationen, wodurch die Körper der Performer durch die Umwelt geformt, die Umwelt von den Körpern geformt zu werden scheint. Im Gegensatz dazu steht der zweite Film des Abends, der nicht den Tanz zeigt, indem dieser mit dem anderen Medium des Films verknüpft wird, sondern lediglich über dessen heilsame Wirkung berichtet und in reichlich platten Bildern Tanz als Befreiung zeigt. In weiß gehüllte Gestalten begleiten den Leidensweg einer Krebserkrankung bis am Ende eine sich am Strand unendlich drehende Frau im Sonnenuntergang verglüht.

Indes werden Noa Zuks Arbeiten zum Highlight des Abends, humorvoll kombiniert sie Alltagsbewegungen, baut Abläufe des Gehens krude zusammen und vermischt diese mit Tanzelementen. Ein Spiel mit Nacktheit, das sich nicht – wie in vielen anderen Produktionen des prüden Amerika – in Provokation und versuchte Innovation erschöpft, beginnt. Es zeigt nicht das Entblößen in seiner scheinbaren Radikalität, sondern inszeniert es und vermittelt Körperbilder – nicht um der Nacktheit willen.

Selten fehlt die atmosphärische Untermalung mit Musik. Beats hämmern und lassen den Körper hinter einer Wand aus Klängen und darin fließenden Bewegungen verschwinden. Melodien lullen den Zuschauer ein und verwickeln diesen viel zu gerne in vermeintlichen Genuss, statt dazu anzuregen, den Körper wahrzunehmen und mitzudenken. Alles ist für ein Publikum gemacht, der Blick nach vorne gerichtet und nett im Unterhaltungsformat zurechtgerückt. Kaum ein Moment der Kontemplation, kaum einer, der nicht überzogen wird mit Klang- oder Lichteffekten (eine Ausnahme ist die Performance von Malinda Crump).

Tanz sollte doch denkende Performer- und Zuschauerkörper hervorbringen. Denn die hundertste Pirouette und der virtuoseste Sprung reißt nicht mehr aus dem bequemen Zuschauersessel! Mindy Upin wackelt mit „From the Top of the Pit at the Bottom of my Stomach“ am Gerüst dieser Performances, deren Spektakel an Broadway-Musicals grenzt. Etwas irritiert an den perfekten Bewegungen ihrer Gruppe, irgendwer bricht immer aus, lässt den Raum wanken.

Und da eckt auch die 78-jähirge Simone Forti an: Vor sich hin murmelnd, läuft sie im MoMA eine Stunde lang unaufhörlich im Kreis. Singt, spricht, liest Auszüge aus Zeitungen und ihrem Notizbuch vor. Natürliche Bewegungen unterstreichen ihren repetitiven Sing-Sang. Dabei spielt das ganze Universum mit. Seit Mitte der 1980er Jahre beschäftigt sich Forti schon mit der Übersetzung medialer Bilder aus Zeitungsberichten in Bewegung. Nachrichten werden so zum Choreografen, leiten ihren Körper, während sie sie spricht. Der Museumsraum, in dem sie performt, ist zerteilt. Nicht immer sieht man Forti, aber man hört sie. Über Lautsprecher rasselt ihr Atem, tönen ihre Worte. Sie ist da. Leidenschaftlich befragt sie sich selbst, spricht ermahnend zu den Zuschauern, die kommen und gehen. Ihre Stimme ist die einer Vergangenheit, die längst abgelebt wurde. Ihr Körper ist geblieben. Immer noch da.

Paul Taylor – dessen Kompanie als letzte des Modern Dance bezeichnet wird – darf in diesem Abriss natürlich nicht fehlen. Der ehemalige Tänzer von Martha Graham und Merce Cunningham zeigt derzeit am Lincoln Center einige seiner Stücke aus den 1980er Jahren und ist mit diesen immer noch überraschend originell.

Pünktlich zum hundertjährigen Jubiläum von „Le Sacre du Printemps“ sieht man also auch seine Version des „Sacre“, dessen Uraufführung im Januar 1980 stattfand – also kurz nach Pina Bauschs legendärem „Sacre“ – und so wirkt, als ob Paul Taylor noch nie etwas von der Geschichte des Opferritus und dem heidnischen Russland gehört hätte. Er nutzt die Musik des Klavier-Duetts Strawinskys, um einen spannenden Krimi zu kreieren mit Kidnapping-Drama und vielen Toten am Ende. Kombiniert wird dieses Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts mit der Ästhetik früher Computerspiele mit maschinenhaften Bewegungen und abgewinkelten Gliedmaßen.

Die beiden anderen Stücke des dreiteiligen Abends - „Last Look“ und „Esplanade“ - sind bunt und locker-leicht. Das Rund der Spiegel vervielfacht zum einen die herumwirbelnden Körper auf der Bühne und lässt ein expressionistisches Bild entstehen. Zum anderen zeigen sie puren Tanz mit risikoreichen Einlagen.

Da bleibt man doch auch gerne mal im Zuschauersessel sitzen und lässt sich von der scheinbaren Stabilität des Theaterraums und Inszenierung mitreißen...
 

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