Überleben auf dem Sofa, abtauchen um das Meer zu retten, Freiheit für die Seele

Die Aprilausgabe von Linie 08 setzt sich in Hellerau mit Grundbedürfnissen auseinander

„Bloß een Zimmerchen irjendwo, mit nem Sofa drin sowieso...“, so träumt und singt Eliza Doolittle, das Blumenmädchen von der Straße, sich im Musical „My Fair Lady“ das kalte Leben warm.

Dresden, 06/04/2013

Die Tänzerin und Choreografin Martina Morasso hatte zur Wiederöffnung des Theaters in Döbeln eine ausgezeichnete Choreografie zur Inszenierung dieses Dauerbrenners geliefert. Jetzt hat sie ihr Sofa ins Foyer des Festspielhauses in Hellerau gestellt und liefert sich schonungslos dem neugierigen Publikum aus. Sie macht den Pausenclown.

Da sitzt diese kleine Frau mit den großen wachen Augen und den akkurat gekämmten schwarzen Haaren im schwarzen Männeranzug auf dem grauen Sofa. „Die Musik der Armen“ heißt ihr Solo und offensichtlich ist der von ihr dargestellte Mensch so arm, dass er nur die Musik vernimmt, die in ihm ist. Und das, so darf man die Reaktionen der Tänzerin deuten, muss eine große Musik sein. Aber es muss auch eine harte Musik sein, nicht nur Melodien zum Träumen und Schwingen. Manchmal reißt es die Glieder hoch, die Arme auseinander, den Kopf nach hinten und als gelte es immer wieder einen Punkt zu finden, der Stillstand gewährt, blickt Martina Morasso auf die Fingernägel ihrer eingekrümmten Hände.

Sie lehnt sich zurück, es reißt den Oberkörper vor, eigentlich weg, aber sie gibt diesen Platz nicht auf, diesen Platz ihrer Musik. Wir hingegen hören keinen Ton und haben doch den Kopf voller Musik. Es ist die Musik der Armen, die uns als Gaffer reich macht. Musikalisch wurde die Tänzerin der kleinen Gesten mit großer Wirkung von Antje Ladstätter und Walburga Walde beraten, dramaturgisch von Heide Lazarus. Dass sie sich am Ende doch losreißt von ihrem Sofa und unseren Blicken enttanzt wirkt, fast wie ein Happyend.

Erst vor wenig mehr als einem Monat gründete sich um die Tänzerin und Choreografin Jule Oeft das Kollektiv „KURZ&LANG JuWie Dance Company“. Mit Wiebke Bickhardt, Vera Ilona Stierli und Seraphine Detscher stellt Jule Oeft ihre Choreografie „Aqua-h2o“ vor. Via Stadtbad tauchen die Tänzerinnen ab. Ganz tief auf den Meeresgrund. Da tanzen sie recht grazil zur Musik von Christof Paul manch feuchten Reigen. Schön scheint's, unter Wasser zu schweben. Aber die junge Kompanie will uns etwas sagen, nämlich dass der schöne Schein trügt. Denn tief auf dem Grund des Meeres da sieht es nicht gut aus. Da häuft sich der Müll aus Plastik. Das ist eklig, auf der Tanzfläche nicht unbedingt, denn zunächst bleibt alles fein verschnürt auf einem Bühnenwägelchen. Ein paar Fallen haben sich die mutigen Protagonistinnen selber gestellt, bzw. von der Choreografin stellen lassen. Sie tanzen barfuß und geraten immer wieder in die Nähe neoklassischer Zitate und gehen auf die halbe Spitze. Da ist schon manche Primaballerina ins Wackeln gekommen. Oder stemmen sie sich mit aller Kraft gegen den erkaltenden Golfstrom? Dann findet jede ihre Art sich mit der Situation auseinanderzusetzen, oder sich ihr auszusetzen oder sich dagegen einzusetzen. Eine Tänzerin gerät in einen Akt der Verzweiflung im Kampf mit dem Abfall, die andere verbirgt sich zunächst unter einem weit gewölbten Tuch aus feiner Plaste um dann recht anschmiegsam damit in Bewegung zu geraten. Die Dritte vergeudet Wasser im Wasser, beschüttet sich mit Trinkwasser aus Plasteflaschen.

Dann wird's dunkel. Ganz sicher Tieftauchen mit Startschwierigkeiten, Meeresretterinnen ohne Rettungsringe... Da wartet man doch gerne wie es weiter geht mit diesen sympathischen Freischwimmerinnen. Na ja, das ist so eine Sache „Halb leer, halb voll“. Wer sein Stück so nennt muss sich nicht wundern, wenn manche Zuseher auf die Idee kommen, es sei wohl gar nichts drin in diesem Glas, und andere, falls doch was drin sein sollte, gar nicht darauf warten wollen, bis es bis zur bitteren Neige geleert ist.

Es beginnt schon in diesem Stück von Michael Zschech, der auch sein eigener einziger Hauptdarsteller ist, mit einer Mogelei. Das Saxophon nämlich, dem sein Körper lt. Ankündigung begegnen sollte, gibt es gar nicht. Keine Spur von Instrument und Spieler Hartmut Dorschner. Der sei heute krank erfährt man auf Nachfrage, aber morgen ist er wieder da. Freies Theater!

Arystan Petzold als Trompeter, fantasievoller Percussionist und Beatboxer macht den Sound. Seine Klangfantasien sind die Seele des sicher nicht länger als 30 Minuten langen Stückes. Aber schon nach 10 Minuten könnte man Angst bekommen hier noch eine Stunde sitzen zu müssen, denn Darsteller Zschech lässt seine Seele frei und kann sie und sich gar nicht wieder einkriegen. Er dreht Kreise und gibt dabei hohe Töne von sich, er schnieft und schnauft, kichert und girrt, wirft sich auf den Boden, steht wieder auf und rennt weiter im Kreis. Aber irgendwann ist doch Schluss. Ein Mensch mit freier Seele, ein befreites Publikum, was will man mehr.
 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern