„Berührungen. Eine Balkan-Rhapsodie“ von Adriana Mortelliti

„Berührungen. Eine Balkan-Rhapsodie“ von Adriana Mortelliti

Last und Freude der Heimat

Adriana Mortelliti berührt in der Kammerbühne mit „Berührungen. Eine Balkan-Rhapsodie“

Um Krieg geht es bei der Premiere für die Kammerbühne nicht, aber um jenes Völkergemisch, das den Balkan zu einem kulturellen Schmelztiegel macht. Adriana Mortelliti hat die Choreografie entworfen.

Cottbus, 18/03/2013

Bei ihrer Reise durch die Zeiten und Stile, vom Tango über den Jazz bis hin zum Handlungsballett, sind Dirk Neumann und sein Cottbuser Mini-Ballett nun auf dem Balkan angelangt. Dort mixen sich wie kaum anderswo in Europa die Kulturen, was sich im wohl sinnlosesten Krieg des späten 20. Jahrhunderts entladen hat. Um Krieg geht es bei der Premiere für die Kammerbühne nicht, aber um jenes Völkergemisch, das den Balkan zu einem kulturellen Schmelztiegel macht. Adriana Mortelliti, in Mailand zur Tänzerin und Malerin ausgebildet, seither Gast in vielen internationalen Kompanien, hat die Choreografie entworfen. „Berührungen. Eine Balkan-Rhapsodie“ heißt sie und erzählt 90 pausenfreie Minuten lang von Leben und Befindlichkeiten, Einsamkeit und Liebe, der unbändigen Freude der Menschen, allen Widrigkeiten zum Trotz, in einem nach wie vor explosiven geografischen Gebiet.

Verbündet hat sich Mortelliti dazu mit musikalischen Exponenten dieses Südzipfels von Europa, der Kleinasien berührt. Berührend sind die Klänge etwa der populären Komponisten Goran Bregović, selbst serbisch-kroatischer Herkunft, des Serben Boris Kovač, der rumänischen Roma-Combo Taraf De Haїdouks, der vielseitigen Weltmusik-Band Bratsch aus Frankreich. Mortelliti nutzt dieses Kolorit zwischen Tradition und freier Verarbeitung bis hin zum Jazz für einen rund 25-teiligen Bilderbogen, der treffend Geist und Gestus balkanischen Alltags einfängt, ohne folkloristisches Schrittgut zu bemühen oder konkrete Geschichten zu verhandeln.

Vielmehr überhöht sie das Schicksal der Menschen, beständig zum Aufbruch bereit zu sein. In Mänteln tragen Männer ihre Frauen herein, Kinderstühle als Symbole des Niederlassens im Gepäck. Immer wieder spielen sie mit ihren Sitzmöbeln, lange indes hält es sie dort nicht. Weiche Streicher geleiten sie oder klagende Klezmer-Klarinetten, befeuern Emotionen und Sehnsüchte. Jungen und Mädchen umwerben einander, voller fröhlicher Einfälle und artistischer Bravour über die Stühle hinweg; unter typischen Mützen formieren sie sich zur Gemeinschaft mit Blickwendung und Schulterzucken, Bodenrutschern und Tiefschleudern, Zitaten aus balkanischer Folklore.

Bisweilen lösen sich aus der Menge einzelne Menschen, die in Solos ihre Gefühle ausdrücken: ein Mann, der mit verschränkten Armen trotzig beginnt, im raumfüllend angehüpften Laufen mit rudernden Ellbogen Witz aufblitzen lässt, die Temposteigerung der Musik aufgreift und trotzig endet; eine Frau, die sich mit geschlossenen Augen mutig ins Leben wirft. Dafür hat Ausstatter Hans-Holger Schmidt im Hintergrund drei „Rutschen“ aufgebaut, die durch einen Spalt sanft auf die Szene gleiten lassen, aber auch dem Absturz ins Ungewisse dienen. Wiederholt werden sie Ziel des Ansturms in eine andere Existenz, umkämpfte Hürde und auch Gegenstand turnerischer Wettstreite. Wie amüsant all das choreografisch gestaltet wird, verrät Mortellitis Gespür für Humor und durchzieht den Abend mit der Leichtigkeit des Seins trotz ernstem Grundton.

Im Zentrum aber steht der Zusammenhalt der Paare, der sie selbst kritische Situationen meistern lässt. Etwa wenn ein Mann seine Partnerin ablegt, sie zwar zärtlich zudeckt, doch den Eifersüchteleien der Mädchen aussetzt; ein anderer Mann, ganz mit sich beschäftigt, von der Liegenden keinerlei Notiz nimmt. Selbst innerhalb der Geschlechter, erst recht zwischen ihnen lodern Rivalitäten auf, die indes stets sanft gelöst werden. Auch das macht das Tanzstück liebenswert, über die organisch runde, akrobatisch anspruchsvolle, gestisch abstrahierende Bewegungssprache hinaus.

Wie Stühle und Schrägen als Requisiten-Partner funktionstragend einbezogen werden, ist so sinnfällig, wie Mortellitis eigene Kostümentwürfe, ob Mäntel oder die Puffkleider der Frauen, „mittanzen“. Im Frauensolo mit dem Stuhl als Metapher für Geborgenheit geht etwas die Puste bei der Entfaltung in den Raum hinein aus; an folkloristisches Geschicklichkeitsspiel erinnert, wie ein Mann mit allen Stühlen behängt wird und sich befreien muss – vielleicht Sinnbild auch der Last an Heimat, die man mit sich herumträgt. Ein junges Paar ertastet sich beim Kletterspaß auf den Schrägen; die Braut findet, heiterste Szene, doch noch den Richtigen. Unter der Lämpchengirlande, die beide aufspannen, tanzt der Abend, nach melancholischen Momenten, seinem frohen Finale entgegen: „We want to entertain you“ verkündet der Gesang, unterlaufen noch von lustlos Sitzenden, bis sie das Balkanfeuer nicht mehr auf den Stühlen hält. Frischen Wind hat da Andriana Mortelliti nach Cottbus gebracht und die Tänzer, ob Venira Welijan, Denise Ruddock, Christian Schreier, Stefan Kulhavec oder die anderen, bestens aussehen lassen. Was will man mehr.
 

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