Flamenco mal etwas anders

„Cositas Flamenco“ im Hamburger Sprechwerk

Eine Deutsche tanzt Flamenco – das ist erstmal mit Vorurteilen und Risiken behaftet, zu oft grenzt das an ein schlechtes Imitat, Marke Touristenfalle. Der Auftritt von Bianca Nieves, gebürtige Berlinerin, und ihren Begleitern am 16. Februar im Hamburger Sprechwerk strafte solche Voreingenommenheit Lügen.

Hamburg, 18/02/2013

Eine Deutsche tanzt Flamenco – das ist erstmal mit Vorurteilen und Risiken behaftet, zu oft grenzt das an ein schlechtes Imitat, Marke Touristenfalle. Der Auftritt von Bianca Nieves, gebürtige Berlinerin, und ihren Begleitern am 16. Februar im Hamburger Sprechwerk strafte solche Voreingenommenheit Lügen. Von einer originären Spanierin unterschied sie sich kaum – eine klassisch-elegante Schönheit mit ebenmäßigem Gesicht und schwarzen langen Haaren, von schlanker und doch angenehm weiblicher Figur. Auch ihr Tanz war stilistisch makellos und seelenvoll, wenngleich weniger von andalusischer Glut als vielmehr von klassisch-zurückgenommener Haltung, die eher die Madrilener Schule vermuten lässt. Ausgebildet wurde Bianca Nieves jedoch von der Argentinierin Celia Rojas, später u.a. von Ana Maria Amahi, Amparo de Triana, Javier Cruz und Alicia Marquez – feinste Sevillaner Referenzen also.

Ihre Begleiter an diesem Abend waren Rayko Schlee an der Gitarre, die Sänger Juan Cárdenas und Enrique Correa aus Sevilla bzw. Huelva, sowie – gewissermaßen das „Schmankerl“ unter den Musikern – Ludger Ferreiro am Piano. In Brasilien geboren, in Deutschland aufgewachsen, tat er sich als Musiker vor allem im Jazz und Tango hervor, und seit einigen Jahren jetzt auch im Flamenco. Klavier und Flamenco – diese Kombination gibt es selten, und sie macht den Reiz des Abends aus. Da hätte man Ludger Ferreiro einen veritablen Flügel gewünscht anstelle des klapprigen, alten Klaviers.

Bianca Nieves begann mit einer klassischen Alegria, der sie eine bedeutungsvolle Schwere verlieh, die eher den melancholischen Anteil des Tanzes betonte als den fröhlichen. Bis zum nächsten Auftritt gab es dann erst einmal eine Farruca für Gitarre und Klavier, gefolgt von einer Sonate Domenico Scarlattis für Kastagnetten und Cembalo (hier: Klavier), bei der der Einfluss von Amparo di Triana deutlich wurde, die ja lange Jahre mit dem legendären José de Udaeta gearbeitet hatte. Und noch einmal Kastagnetten-Virtuosität mit einer Solea por Buleria, bei der auch die Sänger und der Gitarrist hinzukamen.

Vor der Pause zeigte Bianca Nieves im bodenlangen, schlichten schwarzen Kleid, dann noch eine schwermütige, streng zelebrierte Solea – das war Flamenco at its best.

Nach der Pause dann ein Garrotin, der Tanz mit dem Hut, für den Nieves einen weißen Hosenanzug wählte und dazu ein Hütchen à la Roger Cicero, sehr kess, sehr modern, fast schon frivol. Nach einem Fandango für Klavier und Gesang solo dann Andalusien pur: ein „Tanz auf dem Hocker“, im Sitzen, begleitet nur vom Klavier. Die Füße spielen hier ausnahmsweise keine Rolle, es kommt ganz allein auf die Haltung an, auf die Mimik und – dies vor allem – auf die Hände. Sie erzählen die Geschichte, meist eine traurige natürlich, von Liebe und Erfüllung, Sehnsucht und Verlust, Glück und Leiden. Bianca Nieves wirkt hier völlig anders als bei den anderen Tänzen – die sonst streng zusammengebundenen langen schwarzen Haare offen, das Schneewittchengesicht seltsam verstört, die Mimik einer Leidenden. Das war – weil gänzlich frei von Effekten – der beeindruckendste Auftritt des Abends.

Es folgte eine selbst komponierte Buleria des Pianisten, einfühlsam begleitet von den „Palmas“, dem Klatschen der Sänger und des Gitarristen. Und zum Schluss natürlich der Knaller: eine Guajira im langen roten Kleid mit der Cola, der überlangen Schleppe, die das Tanzen so schwierig macht, und mit einem großen roten Fächer, der kunstvoll bewegt werden muss. Nieves meistert diese Schwierigkeiten mühelos, und natürlich ist gerade die Guajira ein Meisterstückchen an Fußarbeit, an Ausdruck, an Haltung, bei der auch die Musiker zeigen können, was sie drauf haben.

Wenn man von einigen Unsauberkeiten in der Fußarbeit absieht, wenn man darüber hinwegsieht, dass der Rhythmus zwischen Tänzerin und Begleitern nicht immer harmonierte, dann war das ein schöner Abend. Vor allem, weil der exzellente Pianist bewies, dass Flamenco durchaus nicht nur auf die Gitarre angewiesen ist – und bei ihm stimmten auch die Rhythmen, war er doch mit den Augen ständig bei den Füßen der Tänzerin oder bei den Händen des Gitarristen – da zeigte Ludger Ferreiro Vollblutmusikerqualitäten durch und durch. Und dennoch fehlte dem Abend dieses zündende Element, das beim Flamenco so wesentlich ist, diese überbordende Lebensfreude, die sich paart mit dem Schmerz über alles, was Kummer machen kann. Darin sind die Spanier, und vor allem die Andalusier, eben doch unerreichte Meister.

Ein Wermutstropfen war, dass die Musiker allesamt an diesem Abend nicht auf die leidige Verstärkung über Mikrophone verzichtet haben – in dem kleinen, höchstens 200 Besucher fassenden Hamburger Sprechwerk hätten sich die Cantaores auch ohne Mikros mit Leichtigkeit Gehör verschafft, und auch der Gitarrist hätte sich nicht sonderlich anstrengen müssen, das Klavier ohnehin nicht. Es scheint mittlerweile eine seuchenhaft um sich greifende Unsitte zu sein, alles und jedes über Mikrophone verstärken zu müssen. Gerade hier war es doppelt störend, denn der direkte Kontakt zwischen Publikum und Bühne ist beim Flamenco um so vieles intensiver ohne diese Hilfsmittel (was später bei den Buleria-Zugaben – natürlich ohne Mikrophon – offenkundig wurde).

Ärgerlich auch, dass der Veranstalter es nicht für nötig hielt, einen Programmzettel zu drucken, aus dem die Reihenfolge der Tänze ersichtlich gewesen wäre. Die Protagonisten hätten jedenfalls eine bessere Vorstellung ihrer Persönlichkeiten verdient. Bei einem Eintrittspreis von 20 und 25 Euro darf man so einen Service wohl erwarten.
 

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