„ZERO“ von Nanine Linning. Tanz: Paolo Amerio, Erik Spruijt, Léa Dubois

„ZERO“ von Nanine Linning. Tanz: Paolo Amerio, Erik Spruijt, Léa Dubois

Endzeitfolklore und Erblast

„Zero“: Umjubelter Einstand von Heidelbergs neuer Ballettchefin Nanine Linning

„Wenn die Menschheit ihren Planeten zugrunde richtet, hört er damit auf zu existieren? Ist die Apokalypse ein plötzlicher Niedergang oder vielmehr ein langsam schleichender Prozess?“ fragt Heidelbergs neue Ballettchefin Nanine Linning.

Heidelberg, 22/01/2013

„Wenn die Menschheit ihren Planeten zugrunde richtet, hört er damit auf zu existieren?“ fragt Heidelbergs neue Ballettchefin Nanine Linning, die in ihrer Choreografie „Zero“ (Null) - zu einem Soundtrack von Arvo Pärt, Philip Glass und Julia Wolfe bis zur elektronischen Musik des Duos Carsten Nicolai & Ryūichi Sakamoto - Endzeitvisionen bildstark und bühnentauglich vorstellt. „Könnte die Stunde Null nicht auch ein Neuanfang sein?“ so die Niederländerin mit Blick auf das Stirb und Werde des kosmisch Großen und Ganzen.

Der Decker hebt sich, aus dichtem Nebel schälen sich Mensch-Insekt-Hybride mit teerschwarzen Riesenköpfen und flügelartig aufgeblasenem Unterleib (Kostüme: Iris van Herpen). Schnaubend und mit raumgreifendem Schritt erobern die Mutanten das Terrain. Ihre martialischen Bewegungen demonstrieren Macht. Darüber schweben im zarten Dunst menschgroße, der Schwerkraft enthobene Puppen. Kaltes Licht (Loes Schakenbos) durchschneidet in dünnen Streifen die unwirtliche Szene.

Harfenklang und Streicher-Ostinato unterfüttern das Ringen mit dunkler Materie und schwarzen Löchern. „Memories from the future“ (Erinnerungen an die Zukunft) nennt Linning eines der acht Tableaus, in dem nervös ängstliche Kreaturen ins Bild gerückt werden, um an Gummi-Seilen universale Seins-Erfahrungen zu zelebrieren. Wie Gefieder wirken die auf Ärmel und Oberkörper der schwarzen Trikots applizierten transparenten Ecken, doch flügge sind diese Wesen noch nicht; sie kleben am Boden, zucken und ziehen Kreise, die an Bändertänze unterm Maibaum denken lassen.

Videoprojektionen (Roger Muskee) reichen nach, wo die Bühne ihre Grenzen hat: schwappende Ursuppe, schwirrende Lichtpunkte und explodierendes Gestein sowie in Nahaufnahme Gesichter der Tänzerinnen, deren rotgeschminkter Mund ein überdimensioniertes erotisches Versprechen im ansonsten unterkühlten Blau, Weiß und Schwarz bedeutet.

„Polar Shift of Gravity“ so der Titel des Tableaus, in dem drei Angeseilte kurz an der Wand tanzen, bevor das Stück mit einer zeitlichen Rolle rückwärts bei Ralph Vaughn Williams (1872-1958) landet, um zu dessen „Fantasia on a Theme of Thomas Tallis (1505–1585)“ in hautfarbenen Trikots und perfekter Bewegungsharmonie aufzugehen. Ende gut, alles gut, beginnt im Sog fugenartig fließender Abläufe ein neuer „New Cycle of Life“ (neuer Lebenskreis).

Kann man den Untergang fotogener und hoffnungsfroher inszenieren? Der Uraufführungsjubel im Neuen Saal des Theaters Heidelberg gilt sowohl dem Stück und der zehnköpfigen Dance Company Nanine Linning, wie das Ensemble offiziell heißt, als auch den dreißig Orchestermitgliedern unter Leitung von Dietger Holm, nicht zuletzt aber der Tatsache, dass Heidelberg wieder eine eigene Tanzsparte besitzt. Gesellschaftskritischer Aufbruch à la Johann Kresnik (und Nachfolge) sind Tempi passati. Von der Erblast befreit nimmt die Niederländerin (mit den Initialen NL) Kurs auf sinnlichen Klangzauber und illustrativen Bilderrausch.

Nächste Aufführungen: 24. und 26.1., 2.2., und 24. Februar
 

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