Neubesetzungen "La Fille mal Gardée"

Das ist der genau richtige Weg, einen jungen, talentierten Tänzer an große Aufgaben heranzuführen – ihm die Hauptrolle in einem technisch anspruchsvollen Werk zu übertragen, das keine allzu großen darstellerischen Finessen erfordert.

Der Colas in Frederick Ashtons „La fille mal gardée“ ist so eine Partie. Und der Kanadier Jason Reilly machte denn auch einen Tag vor Heiligabend bei seinem Debüt in dieser Rolle an der Seite der erfahrenen Elena Tentschikowa (Lise) eine blendende Figur. Mit gewinnendem Lächeln und bestens gelaunt fliegt er über die Bühne, springt hoch und landet sicher, umturtelt Lise nach allen Regeln der Kunst – eine geballte Ladung jungenhaften Charmes, der nicht nur seine Partnerin im Nu erliegt, sondern die wohl auch in mancher Mutter im Saal den Gedanken aufkommen lässt, dass so einer ein prima Weihnachtsgeschenk für ihre Tochter wäre. Allerdings muss er für das Happyend erst Lises Mutter Simone austricksen, die jetzt in dem Spanier Jorge Nozal einen Interpreten sehr eigener Art gefunden hat.

Attraktiv, behände und für die Reize der jungen Herren um sie herum durchaus empfänglich, wird diese sympathische, tanzlustige Witwe von einem etwas cholerischen Charakter beherrscht – immer gleich auf Hundertachtzig. Aber Lise kennt ihre Mutter und weiß, was sie mit ihren Kulleraugen erreichen kann. Auch Mikhail Soloviev als vor Stolz beinahe platzender Hahn und Javier Amo Gonzales als Flötenspieler gereichen mit ihren Debüts dieser „Fille“ zur Ehre.

So sehr Nachmittagsvorstellungen zu begrüßen sind – in der zweiten Aufführung am Abend war dem Corps zwar tänzerisch nicht anzumerken, dass es nur Stunden zuvor bereits im gleichen Stück auf der Bühne war. Es zeigte sich vielmehr in ausgezeichneter Verfassung und voll bei der Sache. Aber als am Ende Lise und Colas ihren großen Pas de deux tanzten, da folgten ihnen nur noch leere Gesichter und teilnahmslose Augen. Die Grenzen der Natur können halt nicht einmal die Stuttgarter sprengen.