Grupo Corpo, „Bach“, „O Corpo“ (Pedeneiras)

Von rechts nach links und vice versa

Stuttgart, 13/12/2001

Die Compagnie Grupo Corpo aus dem brasilianischen Belo Horizonte nimmt in der Tanzwelt eine beinahe kuriose Sonderstellung ein. Vor einem Vierteljahrhundert von den sieben Geschwistern Pederneiras gegründet, ist sie ein Familienunternehmen geblieben, das sogar in einem eigenen Theater auf seinem Landsitz auftritt. Wohin man auf dem Besetzungszettel schaut: Pederneiras. Paulo ist künstlerischer Direktor und Ausstatter, Pedro technischer Direktor, Rodrigo Choreograf, Miriam die choreografische Assistentin – nur die tanzenden zwanzig Damen und Herren scheinen nicht durchweg eigene Produkte zu sein. Vor allem aber wird die Corporate Identity von Grupo Corpo daran deutlich, das sie im Grunde immer das gleiche Stück tanzt.

Zwar choreografiert Rodrigo jedes seiner Ballette zu einer anderen Musik, und auch Paulos Dekoration und Freusa Zechmeisters überaus attraktive, sexy Kostüme wechseln, aber was sich nie ändert, das sind die sich seitwärts über die Bühne bewegenden, synchron agierenden Tänzerreihen, aus denen immer einer ausbricht, die nach vorne hochgeworfenen Beine, die akrobatischen Sprünge und Hebungen, sowie das schlackernde, folkloristisch grundierte Gleiten der Körper.

Die aus Tänzern aller Haut- und Haarfarben bestehende Truppe schaut aus, als käme sie geradenwegs aus einem Fitnessstudio. Und so tanzt sie auch – kraftvoll, nimmermüde, bewundernswert locker und gelenkig, bestens gelaunt, wie von einem unstillbaren Bewegungsdrang angetrieben. So etwas macht an, und so ist es kein Wunder, dass Grupo Corpo inzwischen weltweit zu den gefragtesten Tanzformationen gehört.

Jetzt ist sie mit einem neuen Programm an zwei Abenden in der Reihe Tanzforum des Ludwigsburger Kulturamtes im Forum-Theater aufgetreten, nachdem sie zwei Jahre zuvor bereits an gleicher Stelle mit großem Erfolg bei den Schlossfestspielen zu Gast war. „Bach“, zu einer von drei skrupellosen Arrangeuren verhackstückten und versambaten Collage aus geistlichen Werken des Thomaskantors, präsentiert die Brasilianer in hautengen, kurzen, schwarzen Latexkostümen, später werden sie blau und golden, wie sie sich unter vom Himmel hängenden Metallstangen in einer Art überbordender Aerobic-Choreografie die Seele aus ihren schönen Leibern tanzen, zuweilen an den Stangen freeclimben und in ihnen hängend verharren.

Man traut seinen Augen kaum, zu welch virtuosen Hebungen und Sprüngen die Truppe fähig ist, wie sie mehr und mehr an Tempo gewinnt, die repetierenden Bewegungen beschleunigt und verlangsamt, zu „Jesu meine Freude“ mit den Hüften wedelt, als wären in ihnen sämtliche Bänder gerissen. Das ist zwar alles andere als Kunst, aber ein hochartifizielles Sinneverwirren, das diesen virilen Tanzsportlern wohl so schnell niemand nachmachen kann.

Das gilt auch für „O Corpo“ zu Arnaldo Antunes' rhythmisch drängender, moderner Vokalfolklore, die mit roten Lichtorgel-Punkten auf dem Hintergrund buchstäblich untermalt wird. Die schwarzen Trikots mit Applikationen wirken wie eine Reverenz an die portugiesischen Eroberer Brasiliens und die Choreografie wie eine Anthologie der Regenwald-Fauna. Das gleitet, schaukelt, schlängelt und fliegt, immer in Reihen und Gruppen von rechts nach links und vice versa versteht sich, dass es nur so eine Art hat. Was ihr tänzerisches Vermögen und die offenkundige Lust an ihrem Tun angeht, so kann man den Brasilianern nur Komplimente machen. Aber vielleicht sollten sie einmal versuchen, sich von ihrer choreografischen Inzucht zu befreien.

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