Schwacher Abgang

Der Anfang vom Ende in Basel: Strawinsky, Ives, Schlömer

Basel, Schlömer, 07/10/2000

So ähnlich klangen Joachim Schlömers Lieder schon einmal: Weimar, so lautete 1996 seine erstaunte Bilanz, Weimar ist einfach keine Tanzstadt! Und nun ist Basel Adressat dieses Verdikts. Dem Basel-Kenner vermittelt es freilich weniger Neues über die Stadt, als vielmehr eine Ahnung über die Selbstrechtfertigungsreflexe ihres Noch-Tanztheater-Direktors: Wenn das Publikum, scheint Schlömer zu denken, mich nicht liebt, gibt es dafür nur einen Schuldigen – das Publikum. Zu derart schlichter Monokausalität nimmt Joachim Schlömer indes nur Zuflucht, wenn er die Welt verbal zu erklären versucht. Wenn er sie auf die Bühne bringt, werden die Verhältnisse dagegen ungleich komplexer – wenn auch nicht unbedingt logischer.

Wie zum Beispiel in dem dreiteiligen Strawinsky-Ives-Abend, den Schlömer zu Beginn seiner letzten Basler Saison im Stadttheater herausbrachte: Zwei 1997 für Lyon geschaffene Werke, nämlich Strawinskys Konzert für Klavier und Blasorchester von 1924 sowie das Ballett Petruschka, umrahmen eine Uraufführung zu Charles Ives „Central Park in the Dark“ und anderen Kompositionen.

Drei Stücke, zwei Komponisten – ein Thema? Darauf scheint es jedenfalls zu Beginn hinauszulaufen. Zum „Concerto“ begegnet man Männern und Frauen auf der Fahrt in die Neue Welt. Auf dem Oberdeck ihres Traumschiffs tanzen sie Immigrantengeschichten, während aus den Manteltaschen ihrer 20er-Jahre-Garderobe ein unerschöpflicher tanztheatralischer Ausdrucksvorrat für Hoffnung, Sehnsucht, Angst quillt – und hinten grüßt freundlich leuchtend eine gemächlich vorbeizuckelnde Miss Liberty. Per Zeitsprung geht es dann mitten hinein in eine Melange aus spätsechziger und frühsiebziger Jahre. Der „Central Park“ ist möbliert mit Sofa, Schrank und Fernseher und bevölkert von Menschen, wie es sie damals wohl wirklich gegeben hat: Hosen mit Schlag, Hot Pants, geblümte Stoffe, lange Haare, Hippiekult, Schnauzbärte – alles lange her. Das Stück, das sie geben, sieht sehr nach Alain Platel aus: Underdogs beobachtet beim Scheitern an der Realität. Vielleicht, so denkt man, sieht man hier die Kinder der Immigranten aus „Concerto“ und das, was aus den Hoffnungen, Sehnsüchten und Ängsten der Eltern geworden ist: Ein Amerika mit dem Hals in der Schlinge, das an sich selbst verrückt wird, weil es sich nicht entscheiden kann, ob es Mickey Mouse, Che Guevarra oder Jesus Christ Superstar folgen soll.

Dann aber kommt „Petruschka“. In der Ausstattung (Frank Leimbach) nichts von volkstümlich russischen Anklängen und von der Handlung her ganz reduziert auf einen Dreieckskonflikt zwischen zwei Männern und einer Frau – aber dennoch durch und durch russisch durch die Musik (es spielt das Sinfonieorchester Basel unter Jürg Henneberger). Weit und breit nichts Amerikanisches mehr, nichts, das in irgendeiner Weise an die vorhergegangenen Stücke anknüpft, sondern einfach nur ein weiteres, völlig autonomes Stück. Wieso? fragt man sich – und kommt nicht dahinter. Statt dessen bemerkt man die Schwächen der Choreografie: Eine Handvoll Schlömerscher Standard-Bewegungsmuster, deren Copyrights oft bei Pina Bausch und Kurt Jooss liegen könnten, wird kaum variiert endlos wiederholt, Dutzende Male rennen Tänzer und Tänzerinnen einzeln oder in kleinen Gruppen quer über die ganze Bühne, um dort, wo sie endlich zum Stehen kommen, zwei, drei tänzerische Bewegungen zu absolvieren und wieder im Off zu verschwinden. Und alles, aber auch alles ist reiner ästhetischer Formwille: Kalt, streng, kopflastig, ohne Gefühl. So schafft es dieser Basler Tanztheaterabend spielend, stringent zu beginnen und sich dann doch gründlich selbst ad absurdum zu führen. Das Beste, was er zeigt, ist Schlömers Vielseitigkeit als szenischer Gestalter: tanztheatralisch im „Concerto“, irgendwo zwischen Schauspiel und Bewegungstheater im „Central Park“ und choreografischem Handwerk verpflichtet in „Petruschka“. Das Publikum der Nicht-Tanzstadt Basel dankte es mit bravem Applaus.

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