Rituelle Zeremonien

Compagnie Marie Chouinard, Festspiele, Karlskaserne

Ludwigsburg, 30/06/2001

Man kommt aus dem Staunen nicht heraus: Da sind offensichtlich außerirdische Olympioniken mit Irokesenfrisuren aus einem Videospiel auf die Bühne der Ludwigsburger Karlskaserne entwichen, die sich nun eifrig bemühen, sich in dieser ungewohnten Umgebung so schnell wie möglich zurechtzufinden. Sie versuchen den Formationsflug, spreizen verzweifelt die Hände, geben sich merkwürdige Signale, rudern im Stroboskoplicht propellernd mit den Armen, tanzen bis zum Umfallen. Das Videospiel kommt aus dem kanadischen Montreal, heißt Compagnie Marie Chouinard und ist eine der weltweit ersten Adressen des modernen Tanzes. Seine Chefin hat ein Faible dafür, die durchtrainierten, kräftigen Körper ihrer Tänzer, vor allem aber die ihrer Tänzerinnen, weitgehend nackt zu zeigen.

So auch in diesem einleitenden „24 Preludes by Chopin“, eine deutsche Erstaufführung, in der sie in durchsichtigen, schwarzen Badeanzügen stecken. Allerdings sind ihre primären und sekundären Geschlechtsmerkmale durch schmale, schwarze Gummistreifen so verdeckt wie hervorgehoben. Erstaunlich, wie sich die zehn Kanadier durch diesen athletischen Parforceritt schuften, sich durch die Luft transportieren, sich wie in rituellen Zeremonien verschwörerisch zusammenrotten, Fußball spielen, Wellen durch ihre Körper laufen lassen, dass einem nur vom Zusehen schwindelig wird. Wenn einer aus der Reihe tanzt, dann wird er wieder und wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück getragen, von wo er erneut startet, und so fort. Reden ist verboten. Wer es versucht, der wird von der Gruppe aufgesogen und von der Musik übertönt.

Da ist, obwohl die Tänzer demonstrativ beflissene Gesichter schneiden, keine menschliche Regung zu erkennen – ein blendend inszeniertes Körperspektakel auf dem höchsten vorstellbaren, technischen Niveau. Schön, denkt sich der gutwillige Zuschauer, so sieht also die Welt von morgen aus, kein Gefühl, Leistung ist alles, wer nicht mitkommt, der hat Pech gehabt. Aber im zweiten Stück, der europäischen Erstaufführung „Le cri du monde“, geht es gerade so weiter, nur noch introvertierter. Jetzt sind die Oberkörper völlig nackt, aus dem Gummi- ist ein Farbstreifen geworden, und aus Chopin ein schnaufendes, röchelndes und krachendes, elektronisches Höllengewitter von Louis Defort. Wieder keine menschliche Beziehung, wieder nur fortwährendes Exerzieren extremer Motionen, die diesmal jedoch fast ausschließlich dem Breakdance entliehen sind.

Da rotieren die Glieder nur so in den Gelenken, Köpfe rattern, Arme und Beine drehen sich in nie für möglich gehaltener Weise; die Damen kreischen. Als ob die Leiber von elektrischen Schlägen bewegt würden, schlängeln sie durch den Nebel. Es wird immer wilder, lautlose Schreie entweichen den Tänzern, oder sind es in Wahrheit Roboter mit einem schweren Systemfehler? Welcher Körper hält das aus? Die von Chouinards Tanzartisten schon. Aber warum lässt uns das merkwürdig kalt, beginnt uns nach spätestens einer halben Stunde zu langweilen? Marie Chouinard ist eine Bewegungserfinderin und Gestalterin berückend schöner und attraktiver Bilder von hohen Graden. Aber das, was die Faszination des Tanzes eigentlich ausmacht, das Vermitteln von Emotionen, das scheint ihr völlig fremd zu sein. Wenn es wirklich einmal Tanzroboter geben wird, dann ist sie sicher die Erste, die sie benutzt. Aber dann gehen wir nicht mehr hin.

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