Höchst theaterwirksam

"Robbery Waitress On Bail", "The End of Things" (Lucy Guerin)

Ludwigsburg, 23/06/2001

Nach etwa zehn Minuten Vorstellungsdauer wurden einige Zuschauer in der Karlskaserne unruhig und murmelten, das würde doch hoffentlich nicht den ganzen Abend so weitergehen. Und mit einem Male waren sie gepackt von der ungewöhnlichen, nie zuvor erlebten choreografischen Intensität, mit der die Australierin Lucy Guerin ihre merkwürdigen Geschichten von normalen Menschen erzählt.

Das einleitende „Robbery Waitress in Bail“ berichtet die wahre Begebenheit, dass ein Mann ein Café überfällt und die Bedienung als Geisel nimmt. Sie ist jedoch seine Freundin und Teil des Plans. Und nun erleben wir eine äußerst vage angedeutete Handlung, in der die beiden vor Angst beinahe umkommen, sie versuchen sich einzureden, dass alles gut gehen, und, als sie gefangen sind, die Strafe erträglich ausfallen wird.

Sie stehen allein im Dunkel der Bühne, Lucy Guerin und Ros Warby, jede in einem fahlen Lichtkegel, sie heben wieder und wieder einen Fuß, eine Hand, alles in ihnen bebt, ohne dass sie sich von der Stelle rühren, sie warten jetzt darauf, dass endlich alles vorüber sein wird, sie warten später darauf, dass endlich die Entscheidung fallen wird, vor der sie sich fürchten. Wenn die eine der anderen und die andere der einen liebevoll und behutsam ihre Hand an die Kehle legt, dann lässt sich nur ahnen, dass sie in Wahrheit ein Messer hält. Außer diesen knappen Bewegungen und langen Wanderungen geschieht beinahe nichts. Und doch ist dieses Stück eines der leidenschaftlichsten, brutalsten und zugleich empfindsamsten, die in letzter Zeit zu erleben waren.

Das zweite Werk, die europäische Erstaufführung „The End of Things“, ist von ganz anderer und doch sehr ähnlicher Art. Ein ziemlich komischer Kauz (Trevor Patrick) schläft in einem winzigen Haus (Dorotka Sapinska). Er erwacht, macht sich einen Tee, geht aufs Klo, nimmt einen Anruf entgegen, kratzt sich am Kopf und gleitet langsam in sein tägliches Allerlei. Allmählich gehen die Gedanken spazieren, machen bei einem animierenden Mädchen Halt, dessen Anregungen er in seiner Einsamkeit gerne annimmt, sie werden immer abstruser und beängstigender.

Irgendwann ist er in einem Albtraum zwischen Kafka, Poe und Roald Dahl gefangen. Nun quälen ihn drei Personen, nehmen ihm seine Identität, machen seine täglichen Verrichtungen zur Folter.

Während der Mann leidet und nicht mehr ein und aus weiß, während er immer verzweifelter gegen seine eigenen Fantasien rudert, nimmt sich für die Zuschauer vieles von dem recht lustig aus, weil einen schrulligen Menschen ungeschickt mit Traumgestalten kämpfen und sich bei ihnen versuchsweise anbiedern zu sehen, in der Tat seine optischen Reize hat.

Guerins Choreografie der wilden Bewegungen, des Menschenfaltens, Hauszerlegens, Hosen-an- und ausziehens wird immer rätselhafter. Ist das überhaupt ein Wachtraum? Ist vielleicht des Mannes vermeintliche Realität in Wahrheit der Traum und er lebt tatsächlich in dieser Hölle? Aber dann macht er irgendwann einfach Schluss und verschwindet, den verdatterten Nachtmahren freundlich zuwinkend, durchaus gut gelaunt in die Kulissen. Dieses Stück ist ein Meisterwerk der klugen Dramaturgie und der höchst suggestiven, fesselnden Theaterwirksamkeit. Wenn die Schlossfestspiele die Lucy Guerin Company nicht für die nächste Saison mit weiteren Stücken einladen, dann werden sie wohl ziemlichen Ärger mit dem Publikum bekommen.

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