Ballett Nürnberg

Nürnberg, 10/02/2001

Der Konsequenz und Zielstrebigkeit, mit denen das Nürnberger Ballett seinen künstlerischen Weg geht, kann nur mit Bewunderung und Hochachtung begegnet werden. Alle paar Monate neue Tänze zu choreografieren, und seien sie noch so gut, das war seiner Chefin, der Stuttgarterin Daniela Kurz, nie genug. Ihr ging es stets darum, Künste und Künstler möglichst vieler Fraktionen zu gemeinsamen Arbeiten anzustiften, die endlich in den Tanz münden. Im jüngsten Nürnberger Ballettabend unter dem Titel „Geflügeltes Gelb“, gewissermaßen eine Fortführung ihrer schon lange währenden, tänzerischen Auseinandersetzung mit Farben, zu dem sie selbst diesmal nur ein kurzes Stück beisteuerte, vereinen sich Literatur, bildende Kunst und der Tanz auf eine äußerst gelungene Weise.

Kurzens „Bild 1“ widmet sich einer vom Ingeborg-Bachmann-Preisträger Georg Klein eigens für dieses Projekt geschriebenen Kurzgeschichte, in der es um die Rolle älterer Menschen im Neuen geht. Zu Arvo Pärts irisierender Musik winden sich vier Damen und Herren ohne Herkunft und Ziel mit langsamen, ins Leere greifenden Bewegungen durch die Zeit, durchqueren eine Art von Katalysator-Turm, bis sie schließlich ganz von Wesen mit vielen, kleinen Fähnchen auf den Buckeln verdrängt sind.

In „Bild 2“ lässt der amerikanische Choreograf Nicolo Fonte neun Tänzerinnen und Tänzer zwischen großflächigen „Bühnenbildern“ des Esslinger Malers und Ausstatters Michael S. Kraus auftreten. Die abstrakten Gemälde, in verschiedenen Stilen und unterschiedlichen Gelbtönen gehalten, werden an mehreren Stellen aus dem Schnürboden herabgelassen und wieder in ihn emporgezogen. Je nach Beleuchtung sind sie opak oder transparent. Manche sind begehbar. Die Tänzer zwischen und in ihnen werden von den Folien zuweilen beinahe aufgesogen, als würden sie in einem ungewissen Raum schweben. Es sind nicht so sehr Fontes, im modernen Tanz durchaus gängige, Bewegungen zu pochender und wie Streicherechos klingender Musik mehrerer Autoren, die den Reiz dieses Werkes ausmachen, sondern vielmehr diese Atmosphäre des Geheimnisvollen, Unerklärlichen.

Das am meisten beeindruckende Stück des Abends ist „Bild 3“ in der Choreografie von Stijn Celis und der Regie von Yoshi Oida. Es beruht auf Brian Friels berühmtem Schauspiel „Molly Sweeney“, das der nach einem Fall des auf solche Phänomene spezialisierten Neurologen Oliver Sacks schrieb: Eine blinde Frau kann nach einer Augenoperation wieder sehen und verhält sich auch so, ohne dass sie sich des Sehens bedienen kann – sie leidet an „Blindsicht“. Das ist eine ungemein zarte, liebevolle Choreografie, in der die fabelhafte Jessica Billeter wie in friedvoller Trance durch eine eigene Welt driftet, deren einzige Farbe das Gelb jener Blumen ist, die sie als Baby kurz vor ihrer Erkrankung noch sehen konnte. Ein rührendes Stück, von Wolf-Dieter Trüstedt live mit behutsamen Streich- und Tupfklängen von einem selbst gebauten Holzinstrument untermalt. Der Schauspieler Paul Weismann als berichtender Augenarzt und der ephebische Luca Maraiza als fürsorglicher Partner der Frau geleiten sie zurück in die selbst gewählte Blindheit, die ihr sicher nicht dunkel ist.

Das Nürnberger Ballett, inzwischen gehören seine Premieren zu den Pflichtterminen von „halb Stuttgart“, fungiert erneut als Anreger für die Künste, indem es sich nicht einfach ihrer bedient, was durchaus üblich ist, man denke nur an Mauro Bigonzettis Stuttgarter „Kazimir's Colours“, sondern indem es sie unmittelbar an dem Prozess des Kreierens teilhaben lässt und dem Tanz somit eine neue Dimension erschließt. So muss es sein. Und man fragt sich, warum das nur Daniela Kurzens Nürnberger tun.

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