Wechsel in Münster

Hans Henning Paars „Macbeth“

Münster, 15/10/2012

„Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloss, die anderen folgen“, nannte Pina Bausch 1978 ihren „Macbeth“. Schon allein die unscheinbare Regieanweisung vom Ende des 1. Akts der blutrünstigen Tragödie als Titel sorgte in Bochum bei den Damen und Herren der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft für helle Empörung. Und erst recht: Die Tanztheaterdame inszenierte nicht Shakespeare. Vielmehr knöpfte sie sich nur einige wenige Motive vor und beleuchtete ihre zeitlose Un-Menschlichkeit von allen Seiten.

Da geht nun Hans Henning Paar, Münsters neuer Tanztheaterchef, wesentlich linientreuer vor. Auf 14 der im Original 26 Szenen allerdings reduziert er das Königsdrama. Nur 75 düstere Minuten dauert es im kunstgewerblich abstrakten Ambiente von Anna Siegrot. Schwarze Vorhänge heben und senken sich. Reihen von Hartgummistäben gleiten lautlos vom Schnürboden auf die leere Spielfläche, changieren in bunten Farben. Anfangs sind sie wie Preis-Strichcodes angeordnet, später markieren sie den immer enger werdenden Lebensraum des mörderischen Paares, schließlich den „wandernden Wald“ des Malcolm-Heeres. Alle – Heerführer und Soldaten, Königsfamilien und Hofstaat, Kinder und Mörder – tragen schwarze Kleidung. Selbst die kurzen Schottenröckchen zu den Schnürstiefeln haben keine farbigen Karos. Accessoires und Requisiten sind spärlich. Die Mörder tragen Schiebermützen, König Duncan ein putziges Alufolie-glänzendes Krönchen um die Stirn, als er zum Besuch in Schloss Inverness auf hohem Thron hereingefahren wird. Silbern blitzt das Messer in Macbeth’s Hand. Nur die drei Hexen heben sich ab in ihren wallenden Ballkleidern und zotteligen Rastazöpfen. Aber wirklich furchteinflößend sind sie ebenso wenig wie das viele hellrote Theaterblut, mit dem allenthalben hantiert wird.

Cornelius Mickel ist – bis auf den wilden Tanz mit dem Messer – ganz der zaudernde Möchte-gern-König, den Shakespeare bescheiden behaupten lässt: „Will das Schicksal mich als König, nun, mag mich das Schicksal krönen, doch ohne mein Zutun“. Dass er da die Rechnung ohne sein ehrgeiziges Weib gemacht hat, ist hinlänglich bekannt. Die Japanerin Ako Nakamone gibt sich vom ersten Auftritt an als eiskalte Lady Macbeth und darf ihre ebenmäßigen Rippenbögen unter dem knappen BH ausführlich zur Schau stellen. Aber sie kann viel mehr als so im aufgeknöpften Hosenanzug posieren. Diese Schönheit aus Fernost lässt alle anderen tanztechnisch und mit ausdrucksstarker Bühnenpräsenz weit hinter sich. Als wahnsinnige Lady allerdings hält sie der Choreograf diskret zurück, um dem Gatten den großen Tod zu gönnen.

Die Personen und Charaktere lassen sich nur schwer unterscheiden, wenn sie kämpfen, morden, Tango tanzen. Viel zu austauschbar ist alles. Viel zu viel wird im Zeitlupentempo getanzt und mitunter mit enervierender Gleichförmigkeit, wie auch die vorwiegend minimalistische, stark motorische Musik von Xenakis, Julia Wolfe, Glass und Pärt klingt. Alles wie aus einem Guss, ließe sich folgern. Nur leider blieb das Drama dabei auf der Strecke. Kaum nachzuvollziehen ist Paars aktueller Bezug zur „politischen Landschaft Syriens und Afrikas“ mit den „erschreckenden Bildern von Diktatoren, die auf Kosten ihres Volkes unbeirrt ihre eigenen Ziele verfolgen“. Den Zuschauern, vielfach Shakespeare-gestählt in den Sparten Oper und Schauspiel in der vorigen Saison, schien’s einerlei. Das Premierenpublikum jedenfalls zeigte sich hellauf begeistert. Es feierte das neue Ensemble und die Musiker des Sinfonieorchesters unter dem umsichtigen Thorsten Schmid-Kapfenburg stürmisch.

Nach 16 Jahren poesievollen, emotionellen Ausdruckstanzes von Daniel Goldin ist der Wechsel zu Hans Henning Paars handfestem Tanztheater erwartungsgemäß krass. Mit dem „Sommernachtstraum“ folgt Paars Shakespeare Nummer vier, dazu der vertanzte Dickens-Krimi „Das Geheimnis des Edwin Drood“. Das Literaturballett hat also vorerst das Sagen – wenn denn nicht die rigiden Sparauflagen der Stadt eine kontinuierliche Entwicklung dieser neuen Truppe zu sehr belasten – oder gar verhindern.
 

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