Neueinstudierung „Don Quijote“

München, 22/06/2000

Von „Don Quijote“, einem der beliebtesten Handlungsballette Marius Petipas aus dem Jahre 1869 zur animierenden Humtatamusik von Ludwig Minkus, war bei uns lange Zeit nur der berühmte Grand pas de deux bei Galaabenden zu sehen. In den letzten Jahren erlebt dieses Stück allerdings auf vielen Bühnen eine erstaunliche Renaissance, und das Stuttgarter Ballett will im kommenden Dezember sogar eine komplett neue, gewissermaßen seriöse Version nach dem Libretto und in der Choreografie des argentinischen Tanzstars Maximiliano Guerra herausbringen.

Das Bayerische Staatsballett, seinerzeit noch unter der Leitung seiner Gründerin Konstanze Vernon, gehörte zweifellos zu den Wegbereitern für „Don Quijote“ in Deutschland, als es im Jahre 1991 den einstigen Stuttgarter Solisten Ray Barra damit beauftragte, eine eigene Münchner Fassung zu produzieren. Deren Neueinstudierung hat soeben im Münchner Prinzregententheater ihre lauthals bejubelte Premiere erlebt. Aber auch der stärkste Applaus kann nicht verbergen, dass sich der traditionell aufgeführte „Don Quijote“ hoffnungslos überlebt hat. Zweieinhalb Stunden Tanz und Tanz und Tanz, nur notdürftig und sporadisch durch einen hauchdünnen Handlungsfaden miteinander verbunden und durch polterigen, unbeholfenen Slapstickhumor deftig gewürzt – das genügt dem halbwegs anspruchsvollen Ballettfreund heute nicht mehr. Immerhin hat Barra schon damals darauf verzichtet, Don Quijote als einen tatterigen Tölpel darzustellen, sondern ihn als einen zwar leicht meschuggen, aber doch würdevollen Greis im Kampf für eine bessere Welt gezeichnet.

Und Peter Jolesch gibt dieser Figur denn auch eine respektheischende menschliche Größe. Dafür ist der begriffsstutzige Trottel Sancho Pansa selbst von dem vorzüglichen Tänzer Patrick Teschner nicht zu retten. Dramaturgische Schlüssigkeit ist von diesem Stück sowieso nicht zu erwarten, und deshalb findet man sich schnell damit ab, dass alle Personen einfach in die Handlung platzen, ihren Part tanzen und wieder abgehen.

Aber: In München ist erstklassige Probenarbeit geleistet worden. Das Corps fegt mit heißem Atem und exzellenter Homogenität über die Bühne, die Damen um die berückende Flore Benoit in der Traumszene sind so gut, wie man das aus dem Schattenreich ihrer „Bayadère“ kennt, die Toreros und ihre Freundinnen machen richtig an, und wann immer die Bediensteten Amilcar Moret Gonzalez und Dirk Segers ihre Flugstunden zelebrieren, dann lacht des Zuschauers Herz. Das Hauptpaar Elena Pankova (Kitri) und der Basilio des Kubaners Carlos Acosta (als Gast vom Royal Ballet Covent Garden) ist selbst die längste Reise wert. Sie eine zierliche Tanzsoubrette feinster Provenienz, charmant, frivol, körperlos leicht und technisch brillant, er ein überglücklicher Sunnyboy, der seine feurigen Pirouetten auf einer Münze drehen könnte und sie wie von selbst im präzise richtigen Augenblick enden lässt, dessen Sprünge wirken, als würde er vom Balletthimmel emporgezogen, und die ihm hoch in der Luft die tollsten Kapriolen erlauben. Und dabei schaut er drein, als wäre das alles gar nichts. Ein Phänomen.

Wer mitreißenden Tanz sehen will, der muss also nach München, schon um das fünfundzwanzigminütige Final-Divertissement zu erleben, in dem die Münchner aufdrehen, dass einem alle Bedenken gegen das baufällige, dramaturgische Gerüst dieser Produktion aus dem Kopf gewirbelt werden.

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