Am seidenen Faden in luftiger Höhe

Große Begeisterung für den „Danse des Cariatides“ beim Festival „Tanz!Heilbronn“

Heilbronn, 20/05/2012

Neonlichter und Straßenbeleuchtung werden gelöscht, die Fontänen des Orpheus-Brunnens vor dem Heilbronner Theater abgestellt, das urbane Rauschen der Neckarstadt verstummt. Der Blick Hunderter von Besuchern richtet sich auf die Betonwand des gegenüberliegenden Gebäudekomplexes. Eine graue Wand, die bei Tag eher zum Weggucken einlädt verwandelt sich in einen Tanzboden. Untermalt von sanften Rhythmen und orientalisch angehauchten Gitarrenklängen wird die Senkrechte zur Basis eines choreografischen Experiments, das die Companie Retouramont (Paris), allen voran der Ideengeber Fabrice Guillot, unter dem Titel „Danse des Cariatides“ im Rahmen des Festivals „Tanz!Heilbronn“ präsentiert.

Drei Tänzerinnen, Francisca Alvarez, Olivia Cubero und Séverine Bennevault, entwickeln im Licht von Scheinwerfern und Videoprojektionen eine zirzensische Performance. Sie erklimmen die Vertikale, federn wie ein Jojo auf und nieder, pendeln kopfüber und verschlungen im Duett oder werden zum Körperzeichen, das die verrücktesten Schattenbilder zeichnet oder sich, entlang eines über Eck gespannten Seils, in luftiger Höhe langsam fortbewegt. Dieser „Tanz der Karyatiden“ ist ein Open-Air-Spektakel aus Schattentanz, Fassadenklettern und Hochseilartistik, das sich auf einen antiken Mythos beruft.

Die Karyatiden sind lastentragende Frauenfiguren. Sie dienten als Stützen antiker Bauwerke. In gewissen Nächten befreiten sich die Skulpturen aus ihrer steinernen Existenz. Ohne diese Säulen begannen Wände zu wanken, Horizonte zu kippen, die Welt geriet ins Schwanken. Schwindelerregende Videoeinspielung aus der Vogelperspektive, Überblendungen von Architektur und Körperteilen - die Kamera übernimmt den Blickwinkel der engelsgleichen Geschöpfe, die die Schwerkraft der Welt außer Kraft setzen.

Viele haben sich auf dem Theaterbalkon einen Platz gesichert, andere einen Stuhl auf der Terrasse reserviert, die meisten nehmen mit dem Beckenrand des Brunnens oder einem Stehplatz auf dem Theatervorplatz vorlieb, um in den Genuss des Tanzes an Vertikal- und Horizontalseilen zu kommen. Was wegen Regens mit einer Zitterpartie begann, entfaltet sich zu einem mitternächtlich surrealen Traum: „Das hätte ich mir noch stundenlang anschauen können!“ schwärmen Besucher noch Tage danach.

Das nichts wert sei, was nichts kostet, ist ein Vorurteil der materialistischen Welt. Sie wird durch dieses Geschenk ans Publikum für 50 bildstarke, poetische Minuten aus den Angeln gehoben und das Vorurteil Lügen gestraft.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern