Als Gast Zuhause

„Three to One“ – drei neue Choreografien sorgen im Mannheimer Nationaltheater für Jubel

Mannheim, 23/04/2012

Ein kleiner weißer Punkt mitten im Herzen könnte für die noch unbesetzte offene Stelle stehen, die eine neue Begegnung bespielt. Ebenso kann dieser blanke Ort aber auch für eine unbekannte Größe stehen, die im eigenen Körper mehr oder weniger Entfremdung hervorruft. Ein Ballettabend am Mannheimer Nationaltheater widmet sich dieser Leerstelle und kommt mit drei verschiedenen Perspektiven nicht immer auf den Punkt.

„Three to One“, so der übergeordnete Titel der Veranstaltung, verweist auf die drei Choreografen der Stücke sowie auf ihre Zugehörigkeit zum Kevin O’Day Ballett. Während Luis Eduardo Sayago und Brian McNeal aktuell im Ensemble tanzen, gehört Robert Glumbek zur früheren Generation und ist als ehemaliger Tänzer praktisch als Gastchoreograf ans Nationaltheater zurück gekehrt. So lässt sich der Abend also auch ohne Weiteres mit „drei Werken aus einem Stall“ bezeichnen. Was der Titel vorweg nimmt, gibt das Bühnenbild von Jürgen Kirner zu verstehen. Als freier Bühnen- und Kostümbildner mit Berliner Standort, wird Kirner ebenfalls immer wieder als Gast für bestimmte Produktionen des Kevin O’Day Balletts verpflichtet. Für „Three to one“ schafft er drei ausdrucksstarke Bühnenbilder, die den gemeinsamen Nenner der Stücke herausstellen und gleichzeitig ihre Gegensätzlichkeit unterstützen. Ein Haus, nur angedeutet übers Dach, und durch weitere mobile Wände mal offen wie ein Spielfeld, mal eng wie ein Korridor.

Im mittleren Stück des Abends, das zugleich auch die größten Schwächen zeigt, wird aus Kirners Haus ein Wohnviertel für diverse Großstadt-Szenarios. Brian McNeal gibt seinem Versuch über einprägsame Begegnungen mit Fremden in New York einen düsteren, fetischgetränkten Anstrich. Auf einer elektronischen Komposition von Julien Guiffes tanzen Nachtgestalten in schwarzem ledergeprägten Outfit. Treffen sie aufeinander, mischen sich Gitarrenklänge zur Verlebendigung unter die Computer-Sounds. Etwas belanglos wirken die gleichförmig sich wiederholenden schlingernden Bewegungen der Paare oder Singles auf ihren nächtlichen Trips im kühlen gelb- oder grau-weißen Licht von Damian Chmielarz. „Von Augenblick zu Augenblick“ lebt mehr von Kirners coolem Design, das der Tanz zu beliebig bespielt. So anziehend und vereinnahmend einen das erste Stück schon allein durch die lateinamerikanischen Rhythmen und die bunten Kostüme besticht, so versteht es Luis Eduardo Sayago, den Tanz nicht im hüftschwingenden Klischee zu ertränken. Raffiniert schiebt der aus Venezuela stammende Tänzer und Choreograf den mal neoklassischen, mal zeitgenössischen Bewegungen heimatliche Bolero-Tanzschritte und Gesten unter. Daraus entfaltet sich ein neues spannendes Vokabular, dem man nicht müde wird, zuzusehen. „Dónde estabas tú?“ (Wo warst du?), ist das gelungene Debut des Choreografen über Beziehungen zwischen Menschen und Kulturen.

Schon Robert Glumbeks Musikwahl ist außergewöhnlich. Johann Sebastian Bach neben Senking, eines der Pseudonyme des Kölner Musikers Jens Massel. Das funktioniert wunderbar, nicht zuletzt weil es Glumbek versteht, sein „Shifting Silence“ Szene für Szene einem Gesamten zuzuführen. Pars pro toto – ein Teil steht für das Ganze – ist Glumbeks Prinzip, das er durch sein hervorragendes Gespür für den Raum einsetzt. Während sich ein Tänzer im Mittelpunkt der Selbstbespiegelung unterzieht, funktioniert das Ensemble wie sein Alter ego. Auch hier fällt wieder Kirners Bühnenbildverständnis für die Idee des Choreografen auf: Ein Haus zeigt den Protagonisten wie in einem Korridor, der durch zwei in die Höhe gezogene Wandstücke die Bühne vom Rest trennt. Aus diesem Korridor trifft der Tänzer auf die Gruppe und bringt seine Seelenverstrickung auf den Punkt.

Die Uraufführung „Three to one“ ist die dritte Jubiläumspremiere des Kevin O’Day Balletts, das 2011/2012 seine zehnte Spielzeit am Nationaltheater Mannheim feiert. Es zeigt Stücke von Luis Eduardo Sayago, Brian McNeal und Robert Glumbek. Jürgen Kirner hat für die Werke der Kevin O’Day-Tänzer das Bühnenbild und die Kostüme entworfen.

Weitere Vorstellungen: 10. und 28. Mai, 7. Juni, 13. Juli 2012.

 

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