Follow the Flow

Uraufführung „The Drift“ von Helge Letonja im Theater im Pfalzbau Ludwigshafen

Ludwigshafen, 06/04/2012

Assoziationen an Wasser, Wellen, Wind und Wolken weckt „The Drift“ von Helge Letonja (Choreografie, Inszenierung). Vom Treiben, getrieben werden und sich treiben lassen handelt diese deutsch-kanadische Kooperation, deren Bezugspunkt das Meer ist, eine vielschichtige Metapher: Herausforderung für Weltumsegler, Hoffnung für Flüchtlinge, Lebensraum einer, in den Tiefen unerforschten Tier- und Pflanzenwelt, sowie Grab für jene, die das ersehnte Ufer nicht erreichen, aber auch Nährflüssigkeit und Fruchtwasser, das die Entwicklung jedes einzelnen Lebewesens erst ermöglicht.

Für die ozeanischen Erkundungen hat sich Letonja nicht nur fünf exquisite Tänzern (Blenard Azizaj, Konan Dajot, Rachel Harris, I-Fen Lin und Peter Trosztmer) ins Boot geholt, mit zwei Komponisten Neuer Musik, Kunsu Shim und Gerhard Stäbler, sowie dem Bühnenbildner Jules Hepp und last not least dem koreanischen Konzept- und Videokünstler Kyundwoo Chun hat er kompetente Künstler und echte Surviver an Bord, die aus unterschiedlichsten kulturellen Kontexten kommend, im Wechselspiel von Sturm und Stille, Auftrieb und Untergang, Sog und Widerstand, gemeinsam Kurs aufnehmen in eine noch nicht definierte Zukunft. Das Publikum der Uraufführung im Theater im Pfalzbau Ludwigshafen ist begeistert vom synästhetischen Abenteuer voll poetischer Momente, subtiler Klangsensationen und nachhaltiger Bilder.

Musikerinnen und Musiker, Tänzerinnen und Tänzer finden zueinander, kreisen, inspiriert von Schwarmintelligenz improvisierend umeinander, driften wieder auseinander. Verfremdender Gebrauch von Streich- und Schlaginstrumenten, kakophone Klangaktionen, Schreib- und Kratzgeräuschen, ja sogar das Summen der Klimaanlage verschmelzen mit dem Metasound der Tänzer, ihrem Atem, ihren Bodenkontakten zu einem dichten, teils düster bedrohlichem Klanggefüge. Obwohl die Musiker des Jugend-Ensembles Neue Musik Rheinland-Pfalz/Saarland hinter dem weißen, die Bühnenbreite füllenden Segel, unsichtbar sind, das Dirigat (von Walter Reiter und Nathalia Grotenhuis) im Dunkeln bleibt, ist die Verbundenheit aller Performer spürbar. Follow the Flow, könnte das Credo der Tänzer lauten, die sich aus zitternden, zuckenden Zuständen der Angst und Kälte schälen, taumelnd aus der Achse fallen, über den Boden torkeln, sofort wieder auf die Beine kommen, im Raum aus Stimmungen und Schwingungen weiter trudeln. Wegschwimmen wollen, mit derselben Energie vom Partner zurück gehalten werden. Geschmeidige, durchlässige Resonanzkörper sind diese Protagonisten, die geschleift, geschleudert und aufgefangen, zum dumpfen Rasseln Kettenreaktion auslösen. Ums Leben kraulen während ringsum Blech blubbert, den Krebsgang versuchen, liegen bleiben wie Treibgut, Schutz suchen im Segel aus elastischem Stoff.

An der Grenze zum Hörbaren durchschneidet der hohe Ton eines Tinitus den Raum, in der Ferne Sirenengeheul. Die Enden des großen Segels, das auch als Projektionsfläche für Video-Einspielungen von Wolkenformationen und sanften Wellen dient, zusammenbringen. Im Gegenlicht wölbt sich das weiße Gebilde zur Stoffskulptur, einer Windhose gleicht herrscht absolute Stille im Auge des Taifuns. Weg von der Randexistenz, weg von dekorativem Beiwerk, vom Kleinklein der Freien Szene und ihrem ironischen Geplänkel, dank seiner vorbildlich vernetzten Produktionsstruktur ist Helge Letonjas Ensemble steptext – den Sponsoren und Partnern sei’s gedankt – mit „The Drift“ ein Quantensprung ins kulturelle Zentrum gesellschaftlich relevanter Fragen gelungen, der Mut macht und Vertrauen in die Zukunft gibt.

 

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