Im Zeichen tänzerischer Gediegenheit

Die Schlusspremiere der Zürcher Ballettära Spoerli

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Zürich, 25/03/2012

Er ist der erfolgreichste Ballettmann der Schweiz: Heinz Spoerli, demnächst zweiundsiebzig Jahre alt. Er hat sein tänzerisches Handwerk in seiner Geburtsstadt Basel erlernt, war dann daselbst als Eleve engagiert und hat sich anschließend in Köln, Winnipeg, Montreal und Genf seinen technischen Feinschliff geholt. Und hat dann, wieder in Basel, als Ballettdirektor und Chefchoreograf von 1973 bis 1991 die nächste Stufe der Balletthierarchie erklommen. Es folgte sein fünfjähriges Intermezzo beim Ballett der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg, das er nach langer Stagnation und Lethargie wieder zu neuen kreativen Höchstleistungen inspirierte – wie seinerzeit unter der verdienstvollen Leitung von Erich Walter und Heinrich Wendel.

Und seit 1996 also wirkt er in Zürich, seit sechzehn Spielzeiten, während deren das Zürcher Ballett sich internationales Ansehen ertanzt hat – erstmals in der Ballettgeschichte der Schweiz. Der Mann hat sich um das Schweizer Ballett verdient gemacht. Chapeau! Wenn er jetzt seine letzte Premiere im Zürcher Opernhaus präsentierte, kann man ihn sich schwer als künftigen Ballettrentner vorstellen. Und in der Tat wies der Dreiteiler zu Musik von Gluck, Richard Strauss und Schostakowitsch genau das aus, was Spoerli als ein Erzprofi seines Metiers in aller Welt bekannt gemacht hat: seine handwerkliche, immer aus der Musik gezeugte, auf klassisch-akademischer Basis beruhende Gediegenheit, sein untrüglicher Geschmack, sein Gespür für Tänzerindividualitäten – und nicht zuletzt sein bald deftiger, dann wieder eher augenzwinkernder Humor.

Dabei rahmten zwei Reprisen die Uraufführung des Abends: Glucks „Don Juan“, genau in der 250. Spielzeit seiner Premiere in Wien (wessen man sich in Zürich offenbar überhaupt nicht bewusst war). Bei den beiden Reprisen handelte es sich um eine Neuversion von „Till Eulenspiegel“, ein Spoerlisches Frühwerk von 1980, und „Grid“, ein rein konzertantes Ballett zu Schostakowitschs zweitem Klavierkonzert von 1987, mit Alexey Botvinov als Solisten, Spoerlis Klavier-Adlatus seit Düsseldorfer Tagen und als solcher ein Zeuge von Spoerlis Solidarität mit seinen vertrauten Mitarbeitern, gerade auch seinen Ballettmeistern (Chris Jensen, Jean-François Boisnon, François Petit – und immer wieder Peter Appel), der das Zürcher Ballett seinen stetigen künstlerischen Qualitätszuwachs verdankt.

Die musikalische Leitung des Abend hatte Theodor Guschlbauer, international erfahrener Dirigent – und da verwunderte bei Gluck dann doch einigermaßen, nachdem Zürich sonst für derartig barocke und frühklassische Werke das Spezialensemble Orchestra La Scintilla des Hauses zur Verfügung hat, an diesem Abend das übliche Opernorchester mit seinem sämig-breiten Klang zu hören – wie übrigens auch mit der ziemlich undifferenziert-lärmfreudigen Interpretation der Strauss-Partitur. Gerade weil Zürich in seinen Ballettabenden auf eine heute eher selten gewordene musikalische Qualität Wert legt (wozu auch die unbedingte Live-Wiedergabe der Werke gehört, die inzwischen selbst an anspruchsvollen Häusern häufig durch Aufnahmen der Schallplattenindustrie ersetzt wird), hätte ich mir doch einen etwas höheren Anspruch gewünscht – auf den Intendant Alexander Pereira doch sonst so großen Wert legt. Im Übrigen war‘s eher ein Abend der mittleren Güte – wo wir doch gern Spoerli auf der Höhe seiner Meisterschaft à la „Fille mal gardée“, „Chäs“. „Sommernachtstraum“, „Goldbergvariationen“ oder der Bachschen Cello-Solosuiten verabschiedet hätten.

Am meisten beglückte diesmal die Schostakowitsch-Choreografie: ein Spoerli in bester Balanchine-Manier, mit Viktorina Kapitonova und Stanislav Jermakov als geradezu lianenhaft verschlungenen Pas-de-deux-Partnern und dem elektrizitätsfunkelnden Corps. Das hatte in der hocheleganten Kostümausstattung von Keso Dekker einen sehr eigenen, sehr Schweizerischen Charme. Als ausgesprochen machohafter Filou, versprühte danach Vahe Martirosyan seine unwiderstehliche armenische Lover-Maskulinität, ein Lady-Killer, so exotisch wie erotisch glühend, dem die Damen, von Spoerli höchst unterschiedlich charakterisiert, ob sie nun Seh Yun Kim, Galina Mihaylova, Sarah-Jane Brodbeck oder Juliette Brunner heißen, reihenweise zum Opfer fallen (und mit dem die anderen Herren vergeblich zu konkurrieren versuchen).

Für „Till Eulenspiegel“ konnte ich mich weniger begeistern, den hätte ich mir insgesamt holzschnittartiger, burschikoser gewünscht, trotz der kapriziösen Luftakrobatik des Titelhelden à la Arman Grigoryan und seine Petruschka-hafte Wiederbelebung nach seinem Tode: zuviel zweck- und zielloses Massen Herumgewurle und die Kostümausstattung von Florian Etti wie aus dem Fundus zusammengestoppelt. Nein, da hat uns Spoerli in der Vergangenheit, etwa in „Pulcinella“ und „Coppélia“, aber auch in „Don Quixote“ und in „Mozartiana“ wesentlich Lustigeres geboten – auch in seinem „Nußknacker“ übrigens und in seiner „Cinderella“. Und so wollen wir ihn in Erinnerung behalten – und wird er uns auch in Zukunft als Gast bei anderen Ensembles immer wieder daran erinnern, aus welch einem unverkennbar Schweizerischen Gottfried-Keller-Holz er geschnitzt ist!

Die ausführlichere Kritik in Englisch finden Sie in der englischen Version von tanznetz.de

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