Die Macht der Zahlen

NRW-Choreografenbericht: Eine Erfolgsbilanz für den Tanz in NRW

Köln, 15/03/2012

Unbemerkt von der kulturinteressierten Öffentlichkeit hat das in Köln ansässige NRW Landesbüro Tanz im letzten Jahr seinen „Bericht über selbständige Choreografen und Tanzcompagnien in Nordrhein-Westfalen“, kurz: Choreografen-Bericht über die Spielzeit 2009/2010 vorgelegt. Der Bericht zieht eine außerordentlich positive Bilanz über die Entwicklung des freien zeitgenössischen Tanzes und damit über die Zukunft des Tanzlandes NRW. Von 92 auf jetzt 113 ist die Anzahl der in NRW tätigen Choreografen/innen deutlich angestiegen. Allein 42 davon leben und arbeiten in Köln. Damit bleibt Köln weiterhin unangefochten die – quantitative – Tanzstadt von NRW.

Der Bericht belegt eine Steigerung in allen Bereichen: Anzahl der Tanzproduktionen, Aufführungshäufigkeit, Auslandsgastspiele. Tanz ist zum NRW-Exportschlager geworden. Grund genug zum Jubeln: Für das Landesbüro Tanz als Herausgeber des Choreografen-Berichtes, die Gesellschaft für Zeitgenössischen Tanz (GZT) als Träger des Landesbüros und für die Landesregierung NRW als politisch Verantwortliche für die Neuausrichtung der Tanzförderung seit 2009. Inzwischen hat NRW eine Spitzenförderung Tanz, die bereits zum zweiten Mal vergeben wird, inzwischen werden gezielt auch Mittelzentren wie Bonn, Münster und Mülheim gefördert und das in Düsseldorf ansässige Tanzhaus NRW hat sich für die Einrichtung einer Vermarktungsagentur Tanz (iDAS – International Dance Artist Service) einen zusätzlichen Geldsegen gesichert. Alles Maßnahmen, deren positive Auswirkungen sich im Choreografen-Bericht 2010 andeuten.

Doch von Jubel keine Spur. Stattdessen wird der Choreografen-Bericht mit seinem positiven Ausblick klammheimlich wieder kassiert. Was steckt dahinter? Beeinflussen etwa tanzpolitische Einzelinteressen den Kurs von GZT und Landesbüro Tanz? Auf den ersten Blick ist der jährliche Choreografen-Bericht nur eine Dokumentation über die Tätigkeit der Tanzschaffenden. Ein Zahlenwerk, in dem die aktuellen Zahlen nüchtern mit den Zahlen der Vorjahre verglichen und danach interpretiert werden. Doch genau darin liegt die Brisanz solcher Berichte. Ihr Zahlenmaterial enthält unumstößliche Fakten. Genau die aber scheinen dem Tanzhaus NRW und seinem Leiter so gar nicht in den Kram zu passen. Immerhin belegen Zahlen Erfolg oder Misserfolg und bestimmen über erhebliche Zuschüsse von Stadt, Land und Sponsoren.

So verwundert es nicht, dass Bertram Müller, Leiter des Tanzhaus NRW in Düsseldorf und Vorstandsmitglied der GZT, die das Landesbüro Tanz betreibt, gleich eine Warnung dorthin richtet: „Es wäre ratsam, solche politisch nicht ganz harmlosen Kommentare in Zukunft genauer zu überprüfen“. Das klingt fast wie eine Aufforderung zur Zensur an den Feststellungen des unabhängigen Verfassers des Berichtes. Konkret richtet sich Müllers geharnischte Kritik gegen diese Feststellung im Choreografen-Bericht: „Das Erstaunliche ist, dass es (…) Düsseldorf (…) trotz der seit langem dort bestehenden Tanzeinrichtungen (Tanzhaus NRW) nicht gelungen ist, die Anzahl ansässiger Tanzschaffender in den letzten Jahren signifikant zu steigern.“ Was sich unzweideutig aus dem Zahlenmaterial ergibt, will der Tanzhaus-Chef nicht wahr haben, erklärt es als „schlichtweg falsch“ – und setzt im gleichen Atemzug zu einer gewagten Zahlen-Jonglage an: Weil nicht wahr sein darf, was wahr ist, macht der Tanzhaus-Leiter gleich mehrere Kölner Choreografinnen zu Düsseldorferinnen, um die Zahlen aufzupeppen.

Da soll nochmal einer sagen, dass Tanz nicht die Kreativität steigert. Warum soll man sich nicht mal ein paar Tanzschaffende andernorts ausleihen? Zwar hat das Landesbüro Tanz in einer Replik eindeutig gekontert, aber der teuer produzierte Choreografen-Bericht liegt seitdem im Fach für Altpapier. Für den Tanz kein Grund zum Jubeln.
 

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