Anschluss an die internationale Welt des modernen Balletts

Regensburg genoß unter dem scheidenen Ballettchef Olaf Schmidt eine exquisite Ballettgala

Regensburg, 01/12/2011

Tanz in der Provinz ist kein leichtes Geschäft. Regensburg mit seinen knapp 140 000 Einwohnern ist da ein gutes Beispiel. Die Stadt leistet sich zum kulturellen Wohle der Bevölkerung ein Drei-Spartenhaus und kann es doch längst nicht so gut ausstatten wie andere Häuser. Der Tanz, flexibel wie immer, kommt oft mit Licht, Körper, Musik und ein wenig Ausstattung aus, und der eine Choreoraf soll es das ganze Jahr durch richten, dem dann auch noch ein Programmheft geschrieben wird, das eben ein paar Informationen enthält, manche auch nicht, was hier keinen stört.

Acht Jahre hat Olaf Schmidt den Posten des Regensburger Ballettchefs gut ausgefüllt, die Truppe mit knapp über zehn Tänzern immer mal wieder partiell verändert, einige dockten an große Compagnien an, was ihn zu Recht stolz machte, und mehrmals im Jahr lieferte er eine Uraufführung ab (von seinen Arbeiten in der Oper ganz zu schweigen). Am Samstagabend zeigte sich bei der seit neun Jahren bestehenden Aidstanzgala, was er für den Tanz wirklich in Regensburg geleistet hat: Er kompensierte nicht nur das Manko, unterm Jahr kaum einen Gastchoreografen einladen zu können und das Publikum, abgesehen von dem „Junge Choreografen“-Abend, vor allem mit den eigenen Stücken und dem eigenen Verständnis von Tanz und Bewegungsfluss zu konfrontieren, was den einen oder anderen trotz seiner zum Teil sehr gelungenen und konsequent schwierige gesellschaftliche Themen behandelnde Abendfüller immer mal wieder zum Pausieren brachte

Seine exquisite Programmzustellung machte das offene und auch sich gerne repräsentierende Regensburger Ballettpublikum erstmals konsequent mit der international aktuellen Ballettästhetik vertraut, die er beispielhaft von William Forsythes Revolutionierung des Ballettvokabulars herleitete. The Forsythe Company gab es – und auch darauf darf er stolz sein - zum ersten Mal in Regensburg: mit Jone San Martin und Amancio Gonzalez, die mit Forsythe in den wichtigen 1990er Jahren gearbeitet haben, in den Duetten aus „Vile Parody of Address“ und „Firsttext“.

Schade, dass er sich da nicht traute, das Publikum wirklich damit alleine zu lassen, der Komplexität im Bewegungsvokabular, in der Machart und im narrativen Ereignis nachzuspüren. Stattdessen hauchte komplett überflüssig seine Co-Moderatorin, die fast auf peinliche Weise fachfremde Musicaldarstellerin, Sängerin und ehemalige TV-Moderatorin April Hailer, kaum hatten San Martin und Gonzalez die Performances beendet, ein „Somewhere over the Rainbow“ ins Mikro – feinste, reine Energie wurde hier mit dickem Mehltau überlagert.

Kurzum: Schmidt hätte ganz alleine durch seine letzte Gala führen sollen, die auch deswegen überzeugte, weil sie die einzelnen Schwerpunktsetzungen und Akzente bekannter Ensembles aus dem näheren Umfeld innerhalb des State of the Art bekannt machte: das Ballett Augsburg unter Leitung von Robert Conn, der unter anderem das Duett „Plucked“ von Maurice Causey in die Domstadt sandte, zeigte sich im Profil kühler, athletischer Ästhetik. Dass der Ex-Stuttgarter Conn auch die Darstellung einer Figur auf der Bühne liebt, zeigte Riccardo De Nigris im Solo „Po Poff“, eine schritt- und bewegungsreiche, ganz herrlich lässig und heutig daherkommende Kosakennummer. Das Stuttgarter Ballett selbst war mit Aushängeschild Alexander Zaitsev präsent. Stéphen Delattre, Nachwuchschoreograf der Noverre-Gesellschaft, schuf für ihn eine Solostudie („Mentalmorphosis“) über Verstand und Wahnsinn. Dramatische Darstellungsfähigkeit und Individualität gepaart mit jahrelang durch das Ballett geformter Köperlichkeit traten als die Stuttgarter Merkmale zutage. Fast klassisch-elegant mutete da der Pas de Trois aus Hans Henning Paars „B(r)achland“ an. Verträumt, entrückt, im ruhigen Fluss auf Bachs Adagio aus dem Klavierkonzert Nummer eins gesetzt, bildete es fast einen Gegenpol zu den pointierten, akzentuierten und zum Teil expressiven Bewegungsstatement der anderen Choreografien.

Perfekt dazu Ausschnitte aus den Premieren vom nächsten Tag, „IAMNOT“ von Schmidt selbst für die „Imperfect Dancers“ aus Italien, „Raise and Fall“ von Anh Ngoc Nguyen für das Ballett Regensburg und „Istante“ von Walter Matteini, und drei Soli anderer Art: Die schwedische Tänzerin und Choreografin Charlotta Öfverhol präsentierte ein Solo von Sean Curran, das ursprünglich für einen Mann gedacht war. Mit einer Art Totenclownmaske auf dem Kopf begrub sie in „Flexible with Frozen“ sinnbildlich das auf Bewegungsebene immer wieder durchbrechende klassische Ballett. Wie weit man hernach Tanz auffassen kann, formulierte anschließend die Amerikanerin Karen Montanero, die sich die Verschmelzung von Tanz und Pantomime zum Spezialgebiet gemacht hat. Sowohl für die dargestellte, jedoch längst niemanden mehr auf der Bühne berührende Hektik in einem überfüllten Alltag schuf sie kleinste, eingänge Bewegungsbilder als auch für die romatische Sehnsucht nach dem Leben hinter dem Regensbogen, der hier nochmals auftauchte.

Den Schluss hätte das Gala- und Glamourerprobte Stuttgarter Ballett, will man nur ein Vorbild unter vielen nennen, nicht besser hinkriegen können: Olaf Schmidt ließ das Ballett Regensburg den „Schneeflockenwalzer“ aus seiner letzten Produktion „Der Nussknacker – Erinnerungen an das Vergessen“ tanzen. Unter dicht rieselndem Theaterschnee ließ er sich von seinem herrlichen Tänzer Fabian Moreira Costa auf dem Rücken hereintragen und in der Mitte ablegen, so wie es der Legende nach entfernte Völker mit ihren Alten getan haben. Besser hätte er seinem Nachfolger Yuki Mori das Haus „Ballett Regensburg“ und das mit ihm verbundene große Publikum nicht bestellen können.

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