1. Preisträger: Christine Borch, Berlin: „the body that comes”
1. Preisträger: Christine Borch, Berlin: „the body that comes”

The body that comes

Der 10. Jahrgang des besten deutschen Tanzsolos bei der euro-scene Leipzig

Leipzig, 16/11/2011

Der Preis für das beste deutsche Tanzsolo 2011 geht an Christine Borch aus Berlin für ihr Solo „the body that comes“. Und das durchaus zurecht. Borch betritt den bekannten runden Tanztisch beinahe entblößt, bedeckt nur mit einer undefinierbaren Wollmasse, die sie eher bedrängt als schützt. Ganz in sich, fast autistisch beginnt sie zu zucken, windet sich, tritt in einen Kampf mit der weichen Struktur und sich selbst. Sie setzt ihre Bewegungen sparsam, zitternd steigert sie sich in einen epileptischen Rausch, der sie über die Bühne schleudert. Da ist so viel Schmerz, so viel Begehren, so viel Verletzlichkeit. Unter größten Kraftanstrengungen, mit animalischem Keuchen und unbändigem Willen entledigt sie sich des Objektes und steht nun nackt im weiten Rund, erhebt ihren Blick in das erstarrte Publikum. Black, nur ihr regelmäßiges Atmen ist noch zu hören – zögernder Applaus. Borch hat für ihre Idee um eine eigene Sprache gerungen und lässt uns an diesem Prozess teilhaben. Sicher ist das nicht ganz rund, die fünf Minuten, die jeder Teilnehmer hat, scheinen nicht genug für ihre bedrängende Performance. Aber ihre Darbietung war die beharrlichste – berührend, tänzerisch und körpersprachlich von Belang.

Allerdings hatte sie am Sonntagabend im großen Saal des Ringcafes wenig Konkurrenz. Da war vor allem noch In-Jung Jun, die neben dem 2. Jurypreis überraschend den Publikumspreis gewann. Ihr Solo „Bara“, in dem sie mit zwei koreanischen Zimbeln tanzt, zieht die Zuschauer sofort in Bann. Ihre Bewegungen sind konkret, präzise, immer fließend. Wenn sie die Zimbeln aneinander reibt, entsteht ein Flirren, dass wieder gebrochen wird, wenn die Becken krachend aufeinander knallen. Die Stil-Mixtur aus asiatischer Bewegungssprache, Kampfsportelementen und zeitgenössischem Tanz geht voll auf. Dazu muss man nicht viel wissen über fernöstliche Kultur oder darüber, dass die Zimbel ein traditionelles Instrument der Schamanen ist, das für Weltenwanderungen genutzt wird. Der mythische Raum, den sie aufspannt, gepaart mit strenger Klarheit leuchtet jedem ein. Bei In-Jung Jun erweist sich die alte Regel, dass die Grenzen einer Kunstform erst dann überschritten werden dürfen, wenn man die Kunst auch wirklich beherrscht – nur dann kann Neues entstehen. Neben der Koreanerin war tänzerisch interessant nur noch Dave Großmann, der in „mono.ton.nie“ als Hip-Hop-Tänzer stringent sein Konzept vertanzte. Zum einförmigen Bass exzerziert er militärische Bewegungen, nutzt das weite Rund des Kreises zu langen Gängen und verfällt immer seinem disziplinierten Körper, seinen genormten Bewegungen. Entschlossen und genau.

Die drittplatzierte Lotte Müller gehört dann schon in ein anderes Fach und damit in das Dilemma des Wettbewerbs. Ihre Performance „ELSE“ ist der überaus charmante Versuch aufzustehen und stehen zu bleiben. Die Nummer ist akrobatisch, clownesk, lebt vom humorvollen Übergreifen des Artistischen ins Tänzerische, das sich in einem außergewöhnlichen Wechsel von Dynamik und Statik ausdrückt. Müller kommt künstlerisch aus der Zirkus- und Akrobatenszene, was im nachfolgenden Gespräch ausgiebig ausgewertet wird. Überhaupt werden die Interviews gegenüber den tänzerischen Beiträgen sehr in den Vordergrund gerückt. Was dabei zählt. ist die gute Geschichte. Und davon gab es einige: Da hätten wir den gehörlosen Dodzi Dougban, dessen Musik die alten Scheiben des Ringcafes fast bersten lässt. Den Kubaner Felix Ariel Castillo Castro, der nicht über seine kubanische Herkunft reden will, aber trotzdem vielsagend darauf angesprochen wird. Die Lokalmatadorin Maria Hollwitz, die auf der Bühne eine „Metamorphose“ zur Hip-Hop-Tänzerin vollzieht – sie wurde bei einem Battle auf Leipzigs Straßen von Festivaldirektorin Wolff angesprochen. Eva Isolde Balzer nimmt den Namen der großen Pina Bausch in ihren Titel auf und zeigt dann klassischen indischen Tanz (das hatten wir noch nicht).

Zum Abschluss legt Krisz Fönix Bärlein (preisverdächtiger Name) eine solide Break-Performance hin. Viel wichtiger aber wieder die Geschichte, nämlich dass sie sich vor drei Jahren zu einem Leben als Mann entschied und diese Wandlung natürlich auf der Bühne verarbeitet. Man verstehe das nicht miss – die Geschichten und Soli sind interessant, unterhaltsam, das Publikum verfolgt sie gespannt und emotionalisiert, aber: Tänzerisch waren die meisten Beiträge, zumindest im Rahmen dieser Veranstaltung, unerheblich. Mit dem Titel „Das beste deutsche Tanzsolo“ hatte der Abend nicht viel zu tun. Die Krönung war die Darbietung der Rentnerin Renate Luda, die seit drei Jahren in einer Gymnastikgruppe für das Tanzsolo übt. Freilich kann sie nicht tanzen, zeigt verschiedene Alltagsbewegungen und erntet Lachkrämpfe und Sympathie. Gefragt nach dem Warum ihrer Teilnahme meint sie: „Es war nur so´ne Idee.“ Unterstellt man ihrer Performance Ironie, trifft sie mitten ins konzeptuelle Herz der Veranstaltung. Das alles ist an sich nicht verwerflich, nur möge man ab 2013, wenn der Wettbewerb wieder stattfindet, etwas anderes draufschreiben. Denn die Veranstaltung ist an drei Abenden ausverkauft, Publikumsmagnet und womöglich für viele, die sonst nichts mit Tanz zu tun haben, ein Eisbrecher. Das Format würde zu seinen Wurzeln zurückkehren: Alain Platels Idee, dass jedermann auf die Bühne darf und fünf Minuten im Rampenlicht stehen kann, ist so einfach wie grandios. Dies dann aber als die Spitze des Tanzes zu verkaufen ist unfair.

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