„4 Choreografien“

Balanchine, Forsythe, Kylián und Spoerli zum Auftakt der letzten Spielzeit der Zürcher Spoerli-Ära

oe
Zürich, 02/09/2011

Ein bisschen einfallslos, die Ankündigung der Premiere zur Eröffnung der Spielzeit 2011/12 „4 Choreografien“. Aber dann liest man die Namen der Autoren der vier Ballette dieses Programms, George Balanchine, William Forsythe, Jiří Kylián und Heinz Spoerli, die einen Abend der tänzerischen Sonderklasse verheißen.

Sie addieren sich zu einem Brennspiegel des künstlerischen Credos von Heinz Spoerli zum Beginn seiner letzten Spielzeit als Chef des Zürcher Balletts (zwei weitere Premieren bis zum Sommer nächsten Jahres werden folgen). Geboren 1940 in Basel, nach seinen künstlerischen Lehr- und Wanderjahren in Basel, Köln, Winnipeg, Montréal und Genf von 1973 bis 1991 Leiter des Basler Balletts, anschließend von 1991 bis 1996 an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg und seither in gleicher Position am Opernhaus Zürich. Das bedeutet: 39 Spielzeiten kontinuierlich als Ballettchef von insgesamt drei Kompanien. Damit kann in Deutschland, Österreich und der Schweiz nur noch John Neumeier in Frankfurt und Hamburg konkurrieren. So etwas hat es bei uns nie zuvor gegeben: ein Faktum der Ballettgeschichte! Wobei es beiden Choreografen gelungen ist, ihre Truppen in die Premiere League der internationalen Kompanien zu katapultieren.

Was an diesem Abend durch die hervorragenden Leistungen der Tänzer vollauf bekräftigt wird – von Forsythes „The Vertiginous Thrill of Exactitude“ bis zum Finale, Spoerlis Kreation „In Spillville“ zu Dvořáks „Amerikanischem Quartett“. Und so spannt sich ein einziger großer Bogen über diesen Abend, der ein rückhaltloses Bekenntnis zum klassischen Ballett auf der Basis der Danse d‘école ist – gegen alle Anfechtungen des sogenannten Tanztheaters. Es ist der Bogen, der sich von Spoerlis Anfängen in Basel über seine interkontinentalen Erfahrungen bis zu seinem (vorläufigen) Finale spannt, denn in Basel hatte er begonnen, sich als Choreograf einen Namen zu machen – wobei bereits in Basel Balanchine als häufigster Gastchoreograf fungierte. Und an noch etwas ist in diesem Zusammenhang zu erinnern: der damals 37-jährige Spoerli war der erste, der 1977 den 27-jährigen Stuttgarter Tänzer Forsythe zu seinem ersten Gastengagement als Choreograf an den Rhein einlud. Und auch die Anwesenheit Kyliáns in diesem Programm fügt sich in diesen Rahmen – als ehemaliger Chef des Nederlands Dans Theaters, denn neben Spoerli und Balanchine ist das Nederlands Dans Theater – hauptsächlich durch Hans van Manen, also Kyliáns engsten Kollegen – im Repertoire der drei Spoerli-Kompanien in Basel Düsseldorf und Zürich vertreten.

Steuerten an diesem Abend Forsythe mit seinem Beschleunigungsballett zum Schlusssatz aus Schuberts großer Sinfonie in C-Dur (in allerdings miserabelster Tonband-Qualität) und Balanchine mit seinem „Duo Concertant“ zu Strawinskys Violine-und-Klavier-Meditation als eine Art partnerschaftlicher Dialog zwischen Musik und Tanz als Reprisen bei (es ist gerade, wie wenn die beiden Tänzer – Zürichs Etoiles Viktorina Kapitonova und Stanislav Jermakov zunächst die Musik „tanken“, um sie dann in Tanz umzusetzen), so handelte es sich auch bei Kyliáns „Duo aus 27‘52‘‘“ um eine Reprise – einen gnadenlosen existenziellen Fight zweier Tänzer (in diesem Falle Giulia Tonelli und Olaf Kollmannsperger zu einer Mahler-Soundcollage). Das verlieh der Spoerlischen Kreation ein besonderes Gewicht, die aufs glücklichste an die Reihe seiner kammermusikalischen Ballette zu Musik von Bach, Mozart, Brahms und zuletzt von Schubert und Janáček anschließt.

Der Titel „In Spillville“ bezieht sich auf den Ort in Iowa, wo Dvořák während seines Amerika-Aufenthalts seine Sommerferien verbrachte und mancherlei lokale Reminiszenzen in seine Komposition einfließen ließ. Es ist ein fröhliches, das Leben jubilierend feierndes Quartett (schwungvoll interpretiert von Solisten des Zürcher Opernorchesters) – fast wie eine kammermusikalische Antwort auf Smetanas „Aus Böhmens Hain und Flur“ – sozusagen „Aus Iowas Hain und Flur“. Spoerli hat es für fünf Tänzerpaare choreografiert, unter einem wuchtig über die ganze Bühne gebreiteten, lichtspendenden Abakus von Florian Etti (wie eine modernes grafisches Design der Marke Braun): eine sprudelnd von der Musik getragene, auf der Musik tänzelnde Folge von Ensembles und kleineren Soli, die nahtlos ineinander übergehen – ein rauschender Dithyrambus auf die Herrlichkeit des Lebens. Es ist ein Ballett, wie maßgeschneidert auf den Elan vital der Zürcher Tänzer, funkensprühend wie ein Feuerwerk der tänzerischen Pointen. Und die Zürcher tanzen das mit einer Lust, dass es einen kaum in seinem Sessel hält. Ein Ballett als Jugendelixier: ein Slivovitz, gemixt mit Mississippi-Brandy. Na denn Prost!

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