"Baader – Choreografie einer Radikalisierung" von Christoph Winkler mit Martin Hansen

„Baader – Choreografie einer Radikalisierung“ von Christoph Winkler mit Martin Hansen

Poseur und Pistolero

Im Ballhaus Ost lässt Christoph Winkler „Baader – Choreografie einer Radikalisierung“ tanzen

Im Tanzstück stellt Martin Hansen das Leben des deutschen RAF-Terroristen Andreas Baader dar.

Berlin, 17/06/2011

Ein letztes Mal posiert Andreas Baader liegend, posiert sich in den Tod hinein. Die medikamentöse Ruhigstellung in der Haft, so klagt er kurz vorher, sei langsames Kaputtgehen. Authentische Fotos dazu liefert der Beginn von Christoph Winklers neuem Solo „Baader – Choreografie einer Radikalisierung“ im Ballhaus Ost. Zusammengeschnipselt aus dem reich verfügbaren Material hatte jemand die Collage zu den vielen Gesichtern des Topterroristen. Unspektakulär fing sein Leben an: als vaterlos aufgewachsener Sohn eines kriegsverschollenen Historikers gerät er, aus München kommend, in die linksradikale Berliner Szene, lehnt sich gegen jede Autorität auf. Mit 25, in der 1968er Aufruhrphase, beteiligt er sich an einer Brandstiftung, wird verhaftet, kommt frei, taucht unter, wird erneut inhaftiert, kann fliehen, wird per Hinweis aufgegriffen, von Ulrike Meinhof und anderen befreit, lässt sich in einem PLO-Lager in Waffen- und Sprengstoffeinsatz schulen. Nach fünf Bombenanschlägen mit vier Toten und über 50 Verletzten sowie Banküberfällen wird er 1972 gefasst, 1977 zu lebenslänglich verurteilt. Ein halbes Jahr später findet man ihn erschossen in seiner Stammheimer Zelle, attestiert Suizid. Mit ihm sterben in derselben Nacht weitere inhaftierte Rote-Armee-Fraktionäre. Eine blindwütige Protestbewegung fängt damit an, sich totzulaufen. Sie, die RAF-Aktivisten, besonders Baader, bleiben Inspirationsquell für eine politische wie künstlerische Aufarbeitung in Buch, Film, Theater. Nun greift auch der Tanz zu.

Noch während die Bildfolge auf zwei Monitoren abrollt, Baader als Baby, Schüler, Teenie zeigt, als Elegant unterm Strohhut, Narziss auch, dann im Polizei- und Fahndungsfoto, gezeichnet schließlich durch die Haft, setzt Martin Hansen im Spot mit wippendem Tanz ein. Größer werden die Körperwellen, der Torso weitet und dehnt sich puppenhaft mechanisch, die Arme öffnen sich, als würden sie in Schönheit eine MP halten. „Bild“ geifert dazu im Video Schlagzeilen heraus; im Blut liegt der Tote, ehe mit dem Begräbnis der Film endet. Dann ist nur noch Tanz, wild und wie gefangen im Wahn. Zwischendrin stellt sich der Tänzer eitel aus, wie Baader für Schwulenmagazine gemodelt hat, blickt provokant und verführerisch in den Saal. Alle seine Mittel und Vorzüge, so liest man, habe Baader einzusetzen gewusst, Taumler und Träumer ist er, ein Überzeuger, einer irgendwo zwischen politischen Ambitionen und persönlichen Obsessionen, eine von Hass zerfressene Politmarionette. Auch Winkler skizziert ihn derart, entwirft ein faszinierendes Psychogramm, mit dem er an seine großen Erfolge der Anfangsära anknüpft.

Martin Hansen, der junge Australier mit internationaler Karriere, in Berlin ansässig, ist ein Glücksfall für den Choreografen. So könnte Baader gewesen sein, changierend zwischen Unschuld und Auflehnung, der, schon auf dem Boden, noch nach Form sucht, die Hand kokett in die Hüfte gestemmt, dazu stets schussbereit. Auf fünf Stoffbahnen, die Hansen entrollt, liest man Texte des Revoluzzers: gegen den US-Imperialismus, für die Revolution, mit der Stadtguerilla als bewaffneter Kampffront. Hansen tarnt sich da mit Perücke und Sonnenbrille. Keine Stabilität findet sein Tanz, wie Baader kein Leben fand, gestrauchelt zwischen Wollen und Wirklichkeit. Dann, zu gleißendem Licht, Baaders Stimme in Selbstverteidigung vor Gericht, in wirrer Rede wider die Bundesrepublik als Subzentrum der USA, gegen Vietnamkrieg und Aggression, sich zu einem „faschistischen Militärgerichtsprozess“ versteigend. Nur noch im Slip agiert der Tänzer, atmet flackernd, stürzt, findet nicht mehr Worte für das, was ihn bedrängt. Gefangen in kruden Theorien, wird er zum sprachlos kriechenden Tier. Seine Siegerpose, die Hände über dem Kopf, hat jede Glaubhaftigkeit eingebüßt, ist letzte Schutzhaltung eines Gescheiterten kurz vor jenem Suizid. Winkler und Hansen haben mit diesem physisch enorm zehrenden Ein-Stunden-Solo bewiesen, was zeitgenössischer Tanz zu leisten vermag, wenn er sich auf sich selbst besinnt: im ansonsten leeren, lichtgefüllten Raum nur durch körperliche Aktion von Selbstdarstellung bis Selbstzweifel Schichten einer Politpersönlichkeit freizulegen.

Wieder am 18.6., 1./2.7.

www.ballhausost.de

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