22. Stuttgarter Theaterpreis Tanz verliehen

Preise an Fabian Chyle, Katja Erdmann-Rajski und Katharina Wiedenhofer

Stuttgart, 12/12/2010

Mit der offiziellen Preisverleihung ging am gestrigen Samstagabend der alljährlich zwischen den Genres Theater und Tanz alternierende Stuttgarter Theaterpreis in seiner 22. Ausgabe zu Ende. Um die vier Auszeichnungen in Höhe von insgesamt € 15.000 konkurrierten sieben Tanz-Kompanien aus der freien Szene Baden-Württembergs. Gewinner des mit 6.000 € dotierten Hauptpreises sowie des Publikumspreises ist Fabian Chyle COAC mit „Re-Inventing Nijinsky“.
Aus der Begründung der Jury: „Fabian Chyle ist mit seiner Neu- oder Wieder- oder Weitererfindung der Person Vaslav Nijinskys eine großartige Gesamtinszenierung gelungen. Er kombiniert auf geschickte und originelle Weise eine Vielfalt von Elementen auf die Bühne und gibt jeder von ihr den passenden Raum, ohne die Sinne zu überfüttern. Hier spielt die Ebene des Hörens eine wichtige Rolle, die mit Geräuschen, Sprache und Musik arbeitet und Verschiebungen, Verstörung, Bedrängung erfahrbar macht, ebenso der Einsatz filmischer Mittel wie Live-Kamera und Animation, theatralische Komponenten wie Masken und Spielzeugfiguren und der Übergriff auf‘s Publikum sowie die Konzeption des Raumes und des Lichts. Fabian Chyle bespielt den Raum im Raum, den Wohnwagen, wie ein Ich-Gehäuse. Geborgenheit, Reise, Verletzlichkeit drückt das aus, das Innere wird nach außen gestülpt. Chyle wirft sich als Darsteller selbst ins Gefecht und gewinnt es, indem er sowohl die Kraft als auch die Brüchigkeit dieser Existenz verkörpert und sie auf diese Weise ins Heutige übersetzt. Der dramaturgische Bogen wandert auf perfekte Weise vom Leichtfüßigen bis hin zum bedrückenden Zustand eines Menschen, der den roten Teppich unter seinen Füßen verloren hat und dem das Licht davonläuft.“ Der Publikumspreis in Höhe von 3.000 € ging ebenfalls an diese Produktion.
Der Sonderpreis für eine herausragende Regie-Leistung in Höhe von 4.000 € ging an Katja Erdmann-Rajski aus Stuttgart mit „C- - - - - - H. Jandls Zunge“. Aus der Begründung der Jury: „In diesem Jahr hat sich die Jury entschieden, statt des Preises für eine herausragende choreografische Leistung eine Auszeichnung für Regie zu vergeben, da sich die Vielzahl der Produktionen nicht nur dem reinen Tanz verschrieben haben. In Jandls Zunge gelingt es Katja Erdmann-Rajski, die späten Gedichte des österreichischen Lyrikers Ernst Jandl mit den Mitteln des Tanzes neu zu interpretieren. Dazu bedient sie sich so verschiedener wie einfacher Elemente. Es genügen zwei Darsteller, zwei Tische, zwei Stühle und ein Papierhaufen, um eine Geschichte zu erzählen. Die Geschichte eines alternden Dichters, der nachdenklich am Schreibtisch sein Leben Revue passieren lässt und sich seiner Vergänglichkeit bewusst wird. Das gesprochene Wort und die Choreografie gehen dabei scheinbar mühelos ineinander über. Die im Sprechen des großartigen Schauspielers Bernd Lindner beschworene Hinfälligkeit des Körpers wird durch die leichtfüßige Beweglichkeit des Tänzers Boris Nahalka konterkariert. Tanz und Sprache verschmelzen zu einem theatralischen Ereignis. Dazu zählt wesentlich der sehr bewusste Einsatz von Musik, die eine dichte Atmosphäre erzeugt. Die immer mehr aufkommende Todesnähe wird regelmäßig durch den Witz im Bewegungsvokabular gebrochen. Selbst die Schwere der Arien aus Bachs Matthäus-Passion bleibt so nicht als das letzte Wort im Raum stehen. Gerade im Wechsel zwischen Ernst und Leichtigkeit entsteht durch das ganze Stück hindurch ein belebender Spannungsbogen. Katja Erdmann-Rajski setzt mit „Jandls Zunge“ dem Dichter ein ganz besonderes Denkmal: Im Medium Tanz öffnet sie seiner Lyrik eine neue Wahrnehmung.
Der Sonderpreis für die beste tänzerische Leistung in Höhe von 2.000 € ging an Katharina Wiedenhofer in „My Road Movies“ von Iris Tenge, Mannheim. Aus der Begründung der Jury: „Der Preis für die beste tänzerische Leistung geht an Katharina Wiedenhofer, die am Donnerstag in der Produktion „My Road Movies“ von Iris Tenge zu erleben war. Sie überzeugte die Jury durch ihre intensive Präsenz während der gesamten 1,5 Stunden. Ihre Interpretation des choreografischen Materials belebt sie mit ihrer Fähigkeit, Bewegung Bedeutung zu verleihen und sich innerhalb des Gesamtgefüges eines Ensembles nicht eitel nach vorn zu spielen und dabei ihre Qualitäten trotzdem nicht zurück zu nehmen. Zu diesen Qualitäten gehört ihre Musikalität, die flüssigen, dynamischen Wechsel, ihre Ausdrucksstärke ohne theatralische Übertreibung.” In der Jury saßen: Dieter Heitkamp, Professor für Zeitgenössischen Tanz an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Rüdiger Meyke, Theaterreferent, Kulturamt Stuttgart Katajun Peer-Diamond, freie Regisseurin und Ballettdramaturgin Stuttgart Bettina Schulte, Kulturredakteurin Badische Zeitung Melanie Suchy, freie Tanzjournalistin Frankfurt/Düsseldorf Die nominierten Produktionen waren: HeadFeedHands, Freiburg, mit „Fischen ohne Helm“ Nicki Liszta, backsteinhaus produktion, Stuttgart, mit „Av@tar“ Iris Tenge, Mannheim, mit „My Road Movies“ Fabian Chyle COAC, Stuttgart, mit „Re-Inventing Nijinsky“ urbanReflects, Freiburg, mit „unrestricted exploitation“ Katja Erdmann-Rajski, Stuttgart, mit „C- - - - - -H. Jandls Zunge“ Nina Kurzeja, Stuttgart, mit „Aeneas Entscheidung“ Das Vorauswahl-Kuratorium: Claudia Gass, Tanzjournalistin, Stuttgart Laila Koller, Leitungsteam E-WERK Freiburg Eva Wagner, Dramaturgin und Managerin beim Kevin O’Day Ballett Nationaltheater Mannheim www.theaterhaus.com

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