Jim Vincent

Der künstlerische Direktor des Nederlands Dans Theater

Den Haag, 31/10/2010

Das Erste, was er zu mir sagte, als ich ihn um einen Interview gebeten habe: „ Ich bin kein Spezialist, ich bin nicht Lehrer, ich unterrichte ab und zu die Kompanie, habe aber nur wenig Zeit es öfter zu tun. Ich brauche viel Zeit, um mich vorzubereiten!“ So habe ich Jim Vincent, den neuen Leiter des Nederlands Dans Theaters in Den Haag kennengelernt und ich konnte mit meinem Freund Gérard Lemaître bei seinem Unterricht zusehen: Die Tänzer sind müde, sie haben eine lange Folge von Vorstellungen in den Beinen. Herr Vincent strahlt eine vertrauensvolle Ruhe aus, so dass die Kompanie sich langsam mit kurzen musikalischen Stangenübungen aufwärmen kann, mit vielen Dehnungen und Ports de bras. Am Flügel einer der besten Begleiter: Jan Schouten. Die Mitte ist meiner Meinung nach genau das, was so gute, klassisch trainierte moderne Tänzer brauchen. Die Übungen mit ganz vielen Richtungswechseln sind sehr genau und werden diszipliniert ausgeführt und doch bringt jeder seine eigene Persönlichkeit tänzerisch zum Vorschein! Jim Vincent macht noch viel vor und gibt wenige, aber immer persönliche Korrekturen. Nach dem Unterricht sind wir in seinem Büro und ich stelle meine sechs Fragen:


1. Wie und wann sind Sie zum Unterrichten gekommen? 

Jim Vincent: In den achtziger Jahren hier am Koninklijk Conservatorium. Jiří Kylián hat mich gebeten, die Technik weiterzugeben, die er für seine Choreografien braucht. Ich habe unterrichtet und Repertoire gegeben.

Welche Meister haben Sie nicht vergessen? Und warum? 

Es gibt so viele! David Howard habe ich beim Harkness Ballet kennen und schätzen gelernt. Hans Brenaa: Er war mit seinen fast 80 Jahren noch so jung! Er war ein Zauberer! Ich fühlte mich zu Hause, ich habe Bournonville-Technik trainiert. Violette Verdy für ihre feminine Musikalität! Lawrence Rhodes, heute Direktor der Tanzabteilung der Juilliard School in New-York. Ich habe ihn bei Les Grands Ballet Canadiens kennengelernt, er ist ein fantastischer Tänzer, hat keine Angst alles zu geben und wirkt dadurch befreiend!

3. Sind Sie der Meinung, dass man das Lehren lernen kann? Wenn ja, wie sollte Ihrer Meinung nach so eine Ausbildung aussehen?

Ja, aber nicht ohne Erfahrung! Ich glaube an Lernen. Früher war es anders, man hat nur eine Methodik unterrichtet. Heute muss ein Tänzer vielseitig trainiert werden, da reicht nicht mehr nur Waganova- oder nur Cecchetti- oder Bournonville-Technik. Heute bereite ich mein Training rückwärts vor, das hat mir ein Lehrer beigebracht, erst Allegro und Adagio und davon dann die Stange aufbauen!

4. Muss für Sie ein Lehrer professionell getanzt haben? 

Ja, ohne Zweifel! Es gibt junge Tänzer, die wegen eines Unfalls ihre Kariere aufgeben müssen und sehr gute Lehrer werden, weil sie noch so viel zu geben haben.

5. Was ist für Sie das Wichtigste für erfolgreichen Unterricht? 

Die Tänzer physisch und psychologisch auf das Ziel vorzubereiten, Berufstänzer zu sein. Ich passe mich an den verschiedenen Persönlichkeiten an.

6. Welche Korrekturen sollen Ihre Schüler nicht vergessen? 

Man muss dem Tänzer seinen eigenen Platz lassen, das Spezielle jeder Tänzerpersönlichkeit kultivieren, damit er oder sie seine jeweilige physische Verantwortung übernehmen kann. Ich hoffe, die Tänzer verstehen das, ich mag keine allgemeinen Korrekturen geben, es ist nicht für alle dasselbe.


Biografie
James Francis Vincent Jr. wurde am 3. März 1958 in Trenton, New Jersey geboren. Von 1978 bis 1990 war er Tänzer beim Nederlands Dans Theater, danach ging er für vier Jahre zur spanischen Compañía Nacional de Danza, wo er auch stellvertretender künstlerischer Direktor neben Nacho Duato wurde. Die nächsten sechs Jahre verbrachte er in Frankreich, wo er zunächst Ballettmeister und Übungsleiter beim Ballett der Opéra National de Lyon wurde (1994-1997) und dann Director of Corporate and Special Events im Disneyland Paris (1997-2000). Im Jahr 2000 wurde er zum Direktor von Hubbard Street Dance Chigaco ernannt, wohin er zahlreiche europäische Choreografen einlud, um sie in den USA bekannt zu machen. Seit September 2009 leitet er als Nachfolger von Anders Hellström das Nederlands Dans Theater. Jim Vincent schuf Choreografien für das Nederlands Dans Theater I und II, für Hubbard Street Dance Chicago, Quebecs Bande à Part und das Stadttheater Bern. Er lehrte am Königlich holländischen Konservatorium Den Haag, am Victorian College of Art (Australien), an der Compañía Nacional de Danza und an der Opéra National de Lyon. Er besitzt die amerikanische und die französische Staatsbürgerschaft, ist verheiratet und hat drei Kinder.
 

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