Sperrige Ufos im Nirgendwo

Die 22. Ausgabe von Tanz im August besinnt sich auf die ästhetische Eigenart des Tanzes

Berlin, 02/09/2010

„Wir haben das Gefühl, uns langsam nirgendwohin zu bewegen, und es ist ein Vergnügen.” Dieser Satz aus John Cages „Vortrag über Nichts” ließe sich als Motto über die diesjährige Ausgabe von Tanz im August setzen. Gesprochen wird er von der Tänzerin und Choreografin Eszter Salamon, die in „Dance for Nothing” die zen-buddhistische Haltung des Alt-Avantgardisten beim Wort nimmt. Salamon spricht Cages per Kopfhörer eingespielte 43 Minuten lange, legendäre Rede von 1950 Wort für Wort nach und legt eine Schicht von zufällig erscheinenden Bewegungssequenzen über den endlos mäandernden musikalisch strukturierten Diskurs. Ohne jemals illustrativ zu werden, entwickeln ihre repetitiven Arm-, Schulter- und Beckenbewegungen alsbald ein Eigenleben. Ähnlich wie in Xavier Le Roys Dirigentenstück „Sacre du Printemps” von vor drei Jahren, verschieben sich nach und nach die Wahrnehmungsebenen, so dass manchmal die Bewegung die Sprache hervorzubringen scheint, und nicht umgekehrt. Im Gegensatz zu Le Roy verzichtet Salamon jedoch vollkommen auf das Spiel mit dem Publikum. Hier wird nicht gezeigt oder bedeutet, sondern dazu eingeladen, sich auf eine verwirrende Erfahrung einzulassen. Getragen vom warmen sinnlichen Klang ihrer Stimme muss sich der Zuschauer entscheiden, ob er sich mehr auf den Text oder das kontinuierliche Gewebe von sich auseinander ergebenden Bewegungen konzentrieren will – bis er schließlich vor seinem eigenen schizophrenen Anspruch kapituliert und das Ganze als intensive, unreflektierte Hier-und-Jetzt-Erfahrung auf sich wirken lässt. Dass Tanz nämlich bei aller Intellektualisierung vor allem ein körperliches Phänomen ist, das sich auch dem Publikum auf einer direkten physischen Ebene mitteilt, wurde lange nicht mehr so ungeschminkt demonstriert.

Die gleiche kinästhetische Offenheit wäre auch die beste Voraussetzung für den Besuch von Andros Zins-Brownes installativer Performance „The Host” gewesen. Anstatt sich über die halbgare Dramaturgie des 50-Minuten-Opus zu ärgern, in dem drei Macho-Männer mit Bluejeans und Cowboyhüten vergeblich versuchen, eine sich stets neu aufblähende Hüpfburg zu zähmen, hätte man sich besser einfach zurückgelehnt und sich über die unbeholfenen Gesten der drei Hillbillies amüsiert, die den aussichtlosen Kampf des Menschen gegen die Natur verdeutlichen sollen.

Dramaturgie in Perfektion gibt es in dem Solostück „Cédric Andrieux” zu bewundern, das der Franzose Jérôme Bel dem gleichnamigen Tänzer auf den Leib geschrieben hat. Andrieux, der schon als Kind Unterricht in zeitgenössischem Tanz nahm, obwohl ihm seine ersten Lehrer absolute Talentlosigkeit attestierten, erzählt in einer einstündigen Tänzerbiografie davon, wie er sich acht Jahre lang in Merce Cunninghams New Yorker Company wiederfand und dabei lernte, persönliche Eitelkeit und das Streben nach Anerkennung über Bord zu werfen. Bels mittlerweile viertes Tänzerporträt inszeniert erneut ein anrührendes Lebensbild, das gleichzeitig anschaulichen Unterricht in Tanzgeschichte bietet. Obwohl „Cédric Andrieux” - vor allem Dank seines sympathisch-bescheidenen Hauptdarstellers – sicherlich zu den Höhepunkten dieses Festivals gehört, kann man sich eines gewissen Unwohlseins nicht erwehren. Zwar zeigt der Choreograf auch hier wieder einmal brillant verpackt die Entstehungsbedingungen und -prozesse von Kunst an einem individuellen Schicksal auf, doch geschieht dies mit einer professionellen Glätte, die manchmal den Zynismus streift.

Verstörend unzynisch präsentiert sich dagegen das wuchtige Epos „Tempest: Without a Body” des Neuseeländers Lemi Ponifasio. Das bildmächtige Klagelied über die Enteignung und Unterdrückung der Maori lässt aus Versatzstücken traditioneller Tänze und Rituale und westlichen Bühnenkonventionen einen eigenartigen Hybriden entstehen, der die üblichen Seh- und Interpretationsgewohnheiten sprengt. Obwohl Ponifasios multimediales Requiem stellenweise extrem pathetisch daherkommt, ist es von einer authentischen Notwendigkeit durchdrungen, die die Arbeit eines Jérôme Bel fast frivol wirken lässt.

Insgesamt ist den Machern von Tanz im August in diesem Jahr eine äußerst vielschichtige Ausgabe geglückt. 38 weitgehend kleinteilige Produktionen (auf große Formate à la Trisha Brown oder Semperoperballett wie in den Vorjahren wurde verzichtet) stellten aus unterschiedlichen Perspektiven die Frage nach der politischen Dimension des Körpers. Trotz des Schwerpunkts „Menschenrechte” wurde wieder einmal deutlich, dass der Tanz als Kunstform dann seine größte Kraft entfaltet, wenn er nicht nur eindeutige Themen dramaturgisch aufbereitet, sondern sich auf seine ästhetische Eigenart besinnt. Dass auch ohne große Ensemblestücke die Auslastung von über 90 Prozent den Vorjahren nicht nachstand und sich überdies ein zunehmend jüngeres und internationaleres Publikum vor den elf Veranstaltungsorten drängte, gibt den Veranstaltern mehr als Recht. Glückwunsch zu einem gelungenen Festival!

www.tanzimaugust.de

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