Arg klassisch geraten

„Junge Choreografen“ beim Karlsruher Ballett

Karlsruhe, 12/07/2010

Schön getanzt wird hier immer, kein Zweifel. Birgit Keils immer noch junge Kompanie ist bestens trainiert, das zeigte sie auch beim ersten Karlsruher „Junge Choreografen“-Abend im Schauspielhaus, um dessen intimes Auditorium und doch weite Bühne das Ballett im Badischen von größeren Kompanien wie Berlin, München oder Hamburg beneidet werden dürfte.

Genau wie beim diesjährigen Noverre-Abend, dem Stuttgarter Mutterschiff aller „Junge Choreografen“-Veranstaltungen, fiel auch hier die oft belanglose Musik auf. Das wabert mal ein bisschen esoterisch, mal ein bisschen spacig, mal trommelt es lasziv oder mäandert minimalistisch, und alles ist schnell wieder vergessen. Sobald einer der neun Choreografen dieses Abends eine „ernste“ oder anspruchsvollere Musik wählte, sah sein Stück gleich besser aus. Ganz egal aber, ob Tango, Parodie oder empfindsame Lyrik: in Karlsruhe wird klassisch getanzt, als hätte es Forsythe und die Entwicklung des modernen Balletts in den letzten zwanzig Jahren nie gegeben. In sämtlichen Stücken standen die Frauen auf Spitze, keine(r) der fünf hauseigenen Choreografen schaffte es, sich weiter als zwei Schrittchen vom Vokabular der Danse d’école zu entfernen. Mit mehr oder weniger Bedeutung wurden Arabesquen, Pas de chat und Grands Jetés aneinandergereiht, viel zu oft ohne eine innere Spannung.

Gerade bei solchen Abenden besteht doch die Möglichkeit, sich einmal in Tanztheater, Jazz, Zeitgenössischem oder wildem Expressionismus auszuprobieren, die Zuschauer sind neugierig und lieben die Abwechslung. Mag sein, dass die braven Karlsruher Tänzer durch ihr klassisches und neoklassisches Repertoire gar nichts anderes kennen; hier schlägt niemand über die Stränge, ein abgeknickter Fuß oder eine verschobene Hüfte wirken in dieser akademischen Umgebung fast schon sensationell. Auch bei der Bildkraft der Stücke, in der theatralischen Umsetzung fiel den Choreografen selten Raffiniertes ein, es regierte eine simple, vordergründige Symbolik, am allereinfachsten in „No Resistance!“ von Friedjof Mayer-Gensel, einem Tänzerkollegen aus Birgit Keils Zeiten beim Stuttgarter Ballett. Sein schärfster Konkurrent war Maxim Ponomarev mit einer effekthascherischen Multimedia-Show aus Projektionen und schwarzem Theater in „Onirama“, zu der, was sonst, Ballett getanzt wurde. Während sich Jussara Fonseca und Barbara Blanche mit hübschen Arrangements in südamerikanischen Rhythmen versuchten, inszenierte Reginaldo Oliveira in „attempt“ immerhin die vergebliche Flucht aus einem schwarzen Gefängnis mit dehnbaren Wänden. Expressiv und sehr zart, mit lyrischer Melancholie setzte Flavio Salamanka die Mittel des klassischen Balletts ein, sein zerbrechliches Duo „Nur wer die Sehnsucht kennt“ erzählt von der Trauer eines Vaters um seinen toten Sohn.

Als Gast aus Berlin passte Raimondo Rebeck bestens in den klassischen Rahmen, variierte ihn lediglich ins Athletische – seine Slapstick-artig mit Fauchern und Miaus unterlegte Parodie auf „Kater und Kätzchen“ aus dem „Dornröschen“-Divertissement war bemüht statt witzig. Demis Volpi, erfolgreicher Jungchoreograf vom Stuttgarter Ballett, schuf zu Paul Dukas’ aufregendem Orchesterstück „Der Zauberlehrling“ ein Duo für einen Tänzer und einen leeren schwarzen Frack. Der tanzte nicht nur anfangs unheimlich durch die Luft, sondern verschluckte und verwandelte den neugierigen Titelhelden, jagte ihn an die Rampe, ließ ihm Sand aus den Fingern rinnen und zwang ihn auf den Boden. Neben Volpis Sinn für Dramaturgie und seinem doch weitaus originelleren Bewegungsrepertoire faszinierte die (zum Glück nicht nur äußere) Ähnlichkeit von Diego de Paula, Birgit Keils ausdrucksstärkstem Solisten, mit dem jungen Gil Roman.

Dass der etwas einseitige Abend noch zu einem krönenden Ende fand, ist dem Berliner Choreografen Tim Plegge zu verdanken: ihm reichten in seinem langen Trio „And I watched you breathe“ (Rekord: nur vier von neun Titeln waren englisch) die einfachsten Mittel für die schönste Wirkung. Eine nachdenkliche Menage à trois in einfachen schwarzen Trikots, zwei große Scheinwerfer und die stille Klarheit von Monteverdis Madrigalen, zu denen Plegge das bisher an diesem Abend so oft gesehene klassische Vokabular moderner und natürlicher aussehen ließ, durch Assoziationen ergänzte, mit zarten Andeutungen erfüllte und einfach viel ausdrucksvoller kombinierte. Mag sein, dass da ein bisschen viel von Marco Goeckes Hände-Sprache in Marcos Meñhas letztem Solo war, dennoch bot der Abend so noch eine echte Entdeckung.

www.staatstheater.karlsruhe.de

 

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