Ein unvermindert sprießender Jungborn

Die McGregor-Elo-Clug-Ballettpremiere zum Schluss der Spielzeit 2009/10

oe
Stuttgart, 11/07/2010

Neunundvierzig Jahre alt, hat sich das Stuttgarter Ballett mit seiner jüngsten Premiere am Vorabend seiner Jubiläumssaison so junggestählt präsentiert, als hätte es gerade eine Frischzellenkur absolviert. Zu verdanken hat es diesen Erfolg dem Wunderdoktor aus London, Wayne McGregor, einem Ballett-Neurologen von Weltruf, bei dem die Kompanien Schlange stehen, um sich von ihm behandeln zu lassen. Er ist in Stuttgart kein Unbekannter, war schon zweimal hier und ist offenbar ein guter Freund von Reid Anderson aus den Tagen, als er noch nicht so berühmt war.

Seine jüngste Therapie heißt „Yantra“, stammt aus dem Sanskrit und steht für „Instrument“ oder „Maschine“. Sie meint in diesem Fall den Körper als Behälter für Raum und Zeit. McGregor ist sozusagen der Antipode von Pina Bausch, denn wenn sie in erster Linie daran interessiert ist, nicht wie sich die Menschen bewegen, sondern was sie bewegt, so forscht McGregor nach den Bewegungsmechanismen im Tanz, die er in der Symbiose von Zeit, Körper und Raum sieht.  So hinreißend jung und frisch und elegant wirken die Stuttgarter an diesem Abend, dass ihr spontaner Elan auch der zweiten Uraufführung an diesem Abend zugutekommt, dem Ballett „Red in 3“ des Finnen Jorma Elo, der ebenfalls schon zum zweiten Mal Gast am Eckensee war. Allerdings konnte die Kur bei ihm die vielen Klischees und Abnutzungserscheinungen seiner Choreografie nur bedingt vergessen machen.

Besser erging es da dem in der Mitte des Programms stehenden „Pocket Concerto“ von Edward Clug – das, neu aufpoliert, sein Versteckspiel auch bei der Wiederbegegnung nach zwei Jahren mit spitzbübischer Gutgelauntheit servierte. Doch, wie gesagt, war es die Topform der Kompanie, die das wegen der Fußball-Weltmeisterschaft eher spärlich erschienene Publikum begeisterte. So dass sich der Berichterstatter versucht fühlt, seine Epitheta bei den derzeit in Südafrika weilenden Kollegen auszuborgen: jung, dynamisch, leichtfüßig, charmant – und in der Neuausstattung von Vicky Mortimer (beim McGregor-Team) ausgesprochen sexy. Hätten die Kompanien von Berlin, Hamburg, München, Dresden, Stuttgart, Wien und Zürich in diesen Tagen am Nesenbach getanzt, keine Frage: den Meisterschaftspokal hätten sich die Stuttgarter geholt. Und im Gegensatz zu den machistischen Fußballern von Kapstadt und Johannesburg wären hier die Stars sowohl weiblich wie auch männlich gewesen; Maria Eichwald, Alicia Amatriain, Anna Osadcenko und Elizabeth Mason, Marijn Rademaker, Jason Reilly, Evan McKie, Alexander Zaitsev und Filip Barankiewicz.

Bedenkt man, dass die vorherige Premiere erst ein paar Wochen zurückliegt und bezieht sie ein, fragt man sich angesichts der unglaublichen stilistischen Bandbreite der verschiedenen Produktionen, ob da vielleicht die Geheimformel des nicht alternden „Orlando“ im Spiel war. Denn ob klassisch (wie sich besonders bei Elo in den Passagen zeigte, in denen er auf seine albernen, ironisch gemeinten Akzente verzichtete), oder in McGregors exaltierten, körperverbiegenden, in rasendem Tempo abgespulten Enchainements: die Stuttgarter präsentieren das mit einer nonchalanten Lässigkeit, sozusagen linksfüßig, als ob sie außer ihrem täglichen Training auch noch ein kraftsportliches Programm absolvierten.

Das wären dann nach der „Methode Orlando“ noch die nächsten dreihundertfünfzig Jahre, auf die wir uns freuen dürfen! Anerkennen wir unterdessen bewundernd die grundsolide Arbeit, die hier von Reid Anderson, seinem Stab und der Kompanie über die Jahre geleistet worden ist. Und seien wir gespannt auf die nächste, die Jubiläums-Saison. Für die sich die Direktion als besondere Überraschung noch die Veröffentlichung der längst überfälligen DVD-Box mit den drei großen Cranko-Choreografien von „Romeo und Julia“, „Onegin“ und „Der Widerspenstigen Zähmung“ einfallen lassen möge – allein die in letzter Zeit in allen Teilen der Welt angefallenen „Onegin“-Tantiemen müssten die Finanzierung des Projektes ermöglichen.

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