Lateinamerikanisches Familien-Flair für die Tanz-Übermutter

Samir Akika widmet „Me and My Mum“ Pina Bausch

Münster, 07/03/2010

Das dürfte ein „First“ im Tanztheater sein: auf dem Besetzungszettel findet sich nach dem Bühnenbildner und Lichtdesigner ein Babysitter. Nicht von ungefähr. Denn wo Mütter im Rampenlicht stehen, wuseln auch Kinder herum. In Samir Akikas neuer Produktion, uraufgeführt Freitag Abend in Münsters „Pumpenhaus“, das wieder als Co-Produzent fungiert, gehören die drei Kids des Ehepaares Gabrielli-Morales natürlich zu den Akteuren. Die Babysitterin hat während der Premiere „frei“ und sitzt als Zuschauerin in der ersten Reihe. Die zwei älteren Kinder geben dem lateinamerikanischen Ambiente der Straßengemeinschaft als große Familie den letzten authentischen Touch. Während der kleine Junge und seine winzige Schwester sich mit beeindruckender Umsicht und Unbefangenheit in kleinen Aktionen – Ensembles mittanzen, Breakdance-Sequenzen probieren, ein Mikro perfekt wie zum Sologesang halten - wiegen und schaukeln Männer und Frauen reihum das schreiende Baby. Die Mutter stillt und wickelt es.

Durch das schrille Treiben mit fetzigem Hip-Hop, Folklore und Breakdance auf Popmusik in Arena-Lautstärke und Klassik vom verstimmten Klavier wird die unverwechselbare Handschrift des Regisseurs sichtbar: Akika, Tänzer-Choreograf aus der Folkwang-Schmiede und Filmer, ergänzt die Live-Auftritte mit Videoprojektionen auf die rückwärtige Backsteinmauer. Die Beteiligten werden in Filmmanier per Vor- und Abspann genannt. Links hinten auf der Bühne steht eine Wand für das Blättern in virtuellen Fotoalben mit Schnappschüssen aus Kindheit und Jugend der Darsteller, während sie auf die Fragen des Radiomoderators (Antonio Stella) nach ihrem Verhältnis zu ihrer Mutter antworten – eine deutliche Referenz an Pina Bauschs Probentechnik. Das erste Album zeigt Pina Bausch, vorwiegend in „Café Müller“. Akika widmet seiner künstlerischen Übermutter diese Produktion.

Um Prägungen durch Liebe und Strenge geht es in der teilweise chaotischen Performance, um schöne und schreckliche Erinnerungen und natürlich um die verschiedenen Mutter-Rollen. Die reichen so weit, dass am Premierenabend die Mutter der erkrankten Performerin Lotte Rudhart aus München anreiste und das Klavier traktierte.

Von „Unusual Symptoms“, wie Akika seine Produktionsfirma nennt, ist freilich in diesem pausenlosen, zweistündigen „Familienporträt“ nichts zu spüren. Alles ist sehr, sehr lebensnah – bis hin zum unfertigen Zustand des Stücks. Die Natürlichkeit bei allen künstlerischen „Schrägheiten“ - insbesondere der Temperamentsrakete Ximeno Ameri - macht den Charme aus. Begeisterte Zustimmung vom Publikum am Ende der Premiere.

Weitere Vorstellungen: 10.,12. und 13. März www.pumpenhaus.de

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