Ohne Rahmung

Ein Tag auf der Tanzplattform 2010

Nürnberg, 02/03/2010

Und man ist hin gefahren, selbstverständlich, zur Tanzplattform nach Nürnberg am vergangenen Wochenende. Und dies, auch wenn im Vorfeld fast schon traditionell die Auswahl der eingeladenen Stücke in Frage gestellt worden war und darüber hinaus das Veranstalterquartett, bestehend aus Michael Bader und Gerti Köhns von der Tafelhalle, der Tanzjournalistin Melanie Suchy und Tänzer-Kurator Jochen Roller aus Hamburg, gleich in mehreren Erklärungen an die Presse und Öffentlichkeit vorab dargelegt hatte, warum und wie es sich für das Programm entschieden hatte. Nur elf Produktionen hatten sie schließlich auf die Liste gesetzt, mehr als die Hälfte von ihnen stammte aus den Häusern der Co-Veranstalter, unter anderem Tanzhaus NRW, Kampnagel Hamburg oder Mousonturm Frankfurt.

Weniger die Auswahl als die auffallend ausführlichen Erklärungen schmälerten die Vorfreude und stifteten stattdessen Verwirrung, mit der Folge, dass man noch mehr darüber nachdachte, warum keine einzige Produktion aus Süddeutschland dabei ist und ob die in „tanz“ nachzulesende Bemerkung von Melanie Suchy, dass die Szene zwischen München und Stuttgart ihr eher fremd vorkomme, die Verbannung der süddeutschen Tanzschaffenden auf die Zuschauerseite rechtfertigt. Ein Besuch der Vorstellungen zumindest am Samstag gab dem Affen dabei keinen Zucker, Süddeutschland hin oder her.

Man erlebte eine Achterbahnfahrt der Stile und Ambitionen und durchlebte Emotionen von stiller Freude bis zu unendlicher Qual. Zunächst das Positive: Martin Nachbar tanzt in grauem Poloshirt und Freizeithose im leeren Raum des Nürnberger Theater Pfütze vier Tänze aus dem Tanzzyklus „Affectos Humanos“, jenem bezwingenden Werk der deutschen Ausdruckstänzerin Dore Hoyer aus dem Jahr 1962, die sich acht Jahre später das Leben genommen hatte. In der Stille nach jedem Tanz ist sein Atem zu hören. Am Ende der Vorstellung blickt man auf die leere Bühne und ist diesem Atemgeräusch ausgesetzt, kurz nachdem Nachbar sein Publikum aufgefordert hatte, sich zu erinnern. An Nachbars Körper, der als Archiv sichtbar geworden war; an Hoyers verschwundenen Körper, dessen Bewegungen durch Nachbars Tanz wieder präsent geworden waren; an die Summe der Bewegungen schließlich, die einem seit Beginn der wertvollen Performance im Gedächtnis zurückgeblieben waren. Nachbars „Urheben Aufheben“ brachte eine der faszinierenden Fragen im Tanz zur Aufführung: die nach dem Gedächtnis des Körpers in der Bewegung. Immer wieder kehrt Nachbar zur Schreibtafel zurück, notiert, während er spricht, die wichtigsten Stichworte, streicht sie durch, verwischt sie, ersetzt sie oder setzt seine Gedankengänge im wörtlich-körperlichen Sinne auf der Bühne um. Vorlesung, Bericht, persönliches Sprechen und Aufführung mischen sich und verwirklichen im Spiel mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit die Präsenz eines verlorenen, wieder entdeckten Tanzerbes.

Die in sich verwobene Vielschichtigkeit von Nachbars Performance fand in den anschließenden Aufführungen leider keine Fortsetzung. Wo Nachbar präzise gearbeitet und durch einen intelligenten Aufbau seiner Performance berührende Momente von Öffnung, Erkenntnis und Anreicherung bewirkte, lieferte Monica Antezana in ihrer poppigen Rechercheshow „babel fish moves“ nett zusammengestellte Behauptungen über den Tanz als universale Sprache, ohne jedoch das Konzept einer Lecture konsequent umsetzen. Das Stück zerfiel in seine Einzelteile, weil die performative Rahmung fehlte, die Nachbar mit der Schultafel geschaffen hatte. Infolgedessen folgte man ihr so nett, wie sie einen anlächelte, akzeptierte das Treiben der eigenen Proteine und Zellkörper als eine Interpretation von Tanz, hörte wieder einmal, dass der Körper ein Informationsträger ist und zupfte ein paar Popcorn, die sie zuvor demonstrativ auf der Bühne hergestellt hatte. Wo Nachbar Differenzräume hervorgerufen hat, gerieten ihre Aktionen zu Nachahmungen ohne Sogkraft.

Noch schlimmer in diesem Zusammenhang Ben J. Riepes „Liebe / Tod / Teufel – das Stück“, das zuvor in der Kongresshalle zu sehen war. Angelegt als Opus Magnum, als puristisches Sittengemälde, als zum Stillstand gebrachtes „ballet noir“ fielen nahezu alle Gesten und Posen in ihrer Bedeutung in sich zusammen. Kein Zeichen, keine Aktion wies über sich hinaus, sondern war am Ende das, was es zeigte. Und da sich Riepe ausschließlich sexistische, gewalttätige, voyeuristische und machoide Aktionen ausgedacht hatte, litt man siebzig Minuten unter einer quälenden Banalität. Seine Tänzer inszenierten Erschießungen, Sex von hinten, ein nackt herum stehendes Rudel an Hasen, Siegerposen, Körperstellungen wie die von Kadavern und immer wieder ein Endzeitlachen. Kehrt der Tanz zurück zur eindeutigen Pose und ist das als Spiegel der Welt zu nehmen, fragte man sich da? Oder sollen hier Fantasien exerziert werden, die mehr haben als man glaubt? Und wenn, wie banal wäre das als Bühnenstück? Erleichterter, müder Applaus zum Schluss.

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