Magie und Chaos

Das Bayerische Staatsballett zeigt zum 44. Mal Ray Barras „Raymonda”

München, 27/02/2010

Es ist ein magischer Moment voll tänzerischer Poesie, in dem die junge Solistin Daria Sukhorukova das Entrée ihrer „Raymonda” zelebriert: Graziös umschwebt sie die Bühne des Münchner Nationaltheaters und entführt das Publikum in eine märchenhafte Welt, in der das anmutig fliessende Bewegungsspiel und die makellose Spitzentechnik der Protagonistin vom Wesen des klassischen Tanzes erzählen.

Hier, in ihrem Auftritts-Solo zu Beginn des ersten Aktes, durchdringt Sukhorukova Ray Barras choreografische Bearbeitung des Petipa-Klasssikers nicht nur als tänzerische Virtuosin vollkommen. Darstellerisches Feingespür und ein dramatisch ausdrucksstarkes Mienenspiel lassen die abstrakte Ballerinenfigur aus ihrer einfachen Dimensioniertheit heraustreten: Die blutleere provencialische Adelige Raymonda aus dem Libretto entpuppt sich als lebensfroh charmantes Mädchen im Hier und Jetzt, das sich, gemeinsam mit seinen Freundinnen, in vergnügt spielerischen Tänzen verliert, während die Männerwelt, für die weiblichen Reize immun, bereits den nächsten Kreuzzug plant. Unter ihnen ist auch Jean de Brienne, Raymondas Verlobter, der in der Darstellung durch Marlon Dino wenig Präsenz gewinnt.

Zwar kann der künftige Erste Solist der Kompanie zunächst noch von seiner hochgewachsen imposanten Statur profitieren, die ihn zumindest optisch aus den Reihen der übrigen Akteure hervorstechen lässt. Im Tanz jedoch gelingt es ihm nicht, mit seinen zwar technisch versierten, jedoch allzu nüchtern und farblos dargebotenen Posen und Pirouetten neben dem brillant lebendigen Nour El Desouki (Béranger) und dem im Corps de ballet herausragenden Nikita Korotkov zu bestehen. In den Ensembleszenen dann müssen die Herren unter ihren Möglichkeiten bleiben: Von der mit unzähligen Statisten hoffnungslos überladenen Bühne offensichtlich eingeengt und nahezu erdrückt, bleibt ihnen wenig Raum und Möglichkeit, insbesondere die Sprünge zur Vollendung zu bringen und mit Ausdruck zu gestalten.

Der Auftritt des Sarazenenfürsten Abderakhman, der sich anschickt, die Gunst Raymondas für sich zu gewinnen, verspricht willkommene Abwechslung: In der Partie des exotischen Fremdlings mischt der sprunggewaltig dynamische Danseur noble Cyril Pierre das Geschehen auf und versetzt die höfischen Gefilde in Aufruhr. Unverhofft sieht sich Raymonda in einen Gefühlskonflikt gestürzt, den Daria Sukhorukova auf eindringlichste Art und Weise zu gestalten vermag. Changierend zwischen scheuer Zurückhaltung und sinnlichem Erwachen, berichtet ihr Tanz, getragen von der farbenreichen Orchestration der Partitur Alexander Glasunows, von der inneren Zerrissenheit und tiefen Verunsicherung des jungen Mädchens. Sehr schön, wie harmonisch sich insbesondere in der Traumsequenz das Zusammenspiel zwischen Bühne und Orchestergraben gestaltet; wie präzise Myron Romanul das variantenreiche Spiel seiner Musikanten mit der tänzerischen Darbietung abzugleichen weiß, sodass am Ende sowohl der Tanz als auch die Musik durch diese Verbindung zu Noblesse und Grandeur erwachsen.

Die Wirkung der mit klaren Linien und eleganten Formen bestechend strukturierten Traumsequenz verliert sich in der offensichtlichen Müdigkeit und daraus resultierenden tänzerisch-technischen Ungenauigkeiten des weiblichen Corps de Ballets. Immer wieder wird der Eindruck der vollkommenen Synchronität durch das für den Zuschauer offensichtliche Nachkorrigieren einer Position oder ärgerliche Aussetzer getrübt. Das ist schade, da die oftmals unbeholfenen Aktionen des Corps die Wahrnehmung des Betrachters irritieren und ungewollt von den anmutigen Darbietungen Natalia Kalinitchenko (in der Partie der Weißen Dame) ablenken.

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