Die Kreatur im Werden und Vergehen

Tanz aus Japan in deutscher Erstaufführung im Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt: Das Natural Dance Theatre und Ko & Egde Co

Frankfurt, 30/08/2009

Zum Saisonauftakt im Künstlerhaus Mousonturm gehört traditionsgemäß auch zeitgenössischer Bühnentanz. In diesem Jahr wurde mit einem internationalen Programm aufgewartet, mit Tanz aus Japan. Gekommen sind zwei Tanzensembles, die nicht nur in Japan bekannt und mit Preisen gewürdigt sind, sondern seit Jahren auf internationalen Tourneen ihre Meriten erworben haben. Jetzt also auch in Deutschland, Auftakt war Freitagabend im Frankfurter Mousonturm.

Der künstlerische Leiter des Natural Dance Theatre, Shinji Nakamura, hat sieben Jahre in Europa getanzt, bevor er nach Japan zurückging und 1995 seine eigene Kompanie gründete. Von Anbeginn dabei ist Mako Kawano, die sich mit ihren apart verdrehten Arm- und Handbewegungen vom Üblichen abhebt. Sie ist auch die Choreografin des Stücks „Circus“, das 2005 in Japan uraufgeführt wurde und seitdem viele Menschen zu begeistertem Applaus hinriss, so auch in Frankfurt.

Das Element Zirkus wird vor allem im variablen Bühnenbild von Uno-Man deutlich: ein blaues Zeltdach an Schnüren, das von den elf Tänzern hinaufgezogen und gesenkt, wellenförmig bewegt oder starr gehalten wird. Mal ist es alles verschlingender Sumpf, dann rauschende Wellen oder strahlender Hintergrund einer Bühnenshow. Zirkusgemäß sind die bunten Kostüme, von Straßenkleidung bis Kimono, und ein Teil der eingespielten Musik, von der das meiste europäischen Ursprungs und bekannt ist. Verfremdet wirken einige Liedbeiträge durch den japanischen Text oder „Die Internationale“, gespielt als typischer Zirkusmarsch. Die Musik bestimmt die Atmosphäre in weiten Teilen, von Wiener Walzer über romantisch stille Lieder, bis zu Trommeleinlagen mit coolem Streetdance und pathetischen Showeinlagen zu japanischen Hits. Die abrupten Kontraste im Stimmungswechsel sind groß, doch alles ist getragen von großer Leichtigkeit und enormer Schnelligkeit der Bewegungen. Bei aller Ernsthaftigkeit, Trauer und Sehnsucht in einigen Passagen entsteht insgesamt der Eindruck von Stärke und Lebensfreude. Dass der Zirkus eine wichtige Facette der japanischen Nachkriegsgeschichte und Inspirationsquelle für das Stück ist, gerät dabei zur Nebensache. Auch der einsame Butoh-Tänzer im Lumpengewand, der ab und an durch das Bild geht, gibt sich am Ende dem fröhlichen Pfeifen hin.

Der Kontrast zum zweiten Stück könnte größer kaum sein. Choreograf Ko Murobushi gilt als der bekannteste Butoh-Tänzer unserer Tage. Seit 2003 arbeitet er als Choreograf mit einer Gruppe junger japanischer Tänzer unter dem Label „Ko & Edge Co“. Einerseits sucht er Einflüsse westlicher Tanzstile zu integrieren, andererseits erforscht er zunehmend die japanischen Wurzeln. Zu Beginn des gezeigten Zweipersonen-Stücks „Dead I“ dröhnen unvermittelt die verzerrten Gitarrenklänge von Jimi Hendrix’ „Purple Haze“, doch machen die Lautstärke und technische Aggressivität nur die anschließende Stille umso hörbarer, ja fast körperlich fühlbar. Zwei Tänzer (Yukio Suzuki und Teita Iwabuchi) halten nahezu unbeweglich ihre Beine und Arme nach oben, der Kopf scheint abgeschnitten oder wie im Sand versteckt, zunächst sind nur ihre Rückseiten zu sehen. In unendlich langsamen Bewegungen beginnen sie die Arme und Beine zu senken, wickeln sich zu einem Kokon zusammen und pressen tierische Töne aus ihrem Brustkorb. Durch die silbrige Ganzkörperfarbe wirken sie wie Käfer und auch die nachfolgenden Bewegungen lassen die Wahrnehmung von oben und unten, von Zugehörigkeit und Funktion einzelner Körperglieder durcheinandergeraten. Schließlich stehen sie auf zwei Beinen, krumm und schief, können sich kaum halten und brechen immer wieder zusammen. Ein unaufhörliches Auf und Nieder, Zucken und Krampfen, Rutschen und Gleiten folgt. Das sind kaum noch menschliche Körper, das ist Kreatur im Werden und Vergehen. Schier unbegreiflich, dass so etwas möglich ist. Nach dem Ende der Performance braucht das Publikum eine gewisse Zeit um sich auf die von ihm geforderte Reaktion zu besinnen: Applaus brandet auf, aber von deutlich anderer Qualität als beim ersten Stück.

www.mousonturm.de

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