Umjubelte Erstaufführung und Abschied eines großen Etoile

John Crankos „Onegin“ an der Pariser Oper

Paris, 22/05/2009

Es ist ein lang erwartetes Ereignis in der Ballettwelt: die Erstaufführung von John Crankos „Onegin“ an der Pariser Oper. Nach langen zähen Verhandlungen um Rechte und Kosten hielt Crankos Meisterwerk nun einen triumphalen Einzug ins Repertoire der prestigeträchtigen Kompanie (mit der Ernennung gleich zwei neuer Etoiles am Premierenabend: der siebenunddreißigjährigen Tatjana-Isabelle Ciaravola und des einundzwanzigjährigen Lenski-Mathias Heymann).

Trotz des aus München geliehenen Bühnenbildes präsentiert sich Cranko hier in anderer Aufmachung als beispielsweise in Deutschland oder London. Die Pariser Kompanie legt Wert auf geschliffene Technik, auf korrekte Formationen und virtuose Soli, doch dafür ist hier wenig zu spüren von der Menschlichkeit, der Komplizität zwischen den Tänzern sowie der Emotion, die in Crankos Schritten liegt und die den Geist des Balletts ausmachen. Das Stück lebt vom darstellerischen Talent seiner vier Hauptfiguren sowie von der Bereitschaft des Corps de Ballet, eine Atmosphäre zu schaffen, sozusagen im Gesamtbild zu verschmelzen, anstatt sich als Einzeltänzer bemerkbar zu machen. Diese Sensibilität war hier nicht immer zu finden; vielmehr schien es, als tanze jeder für sich allein, wodurch es vor allem im personenreichen zweiten Akt zu Konfusionen kommen kann. Erzählung und Emotion treten in den Hintergrund, wodurch das Ballett beinahe zu einem kunstvoll gemalten aber oberflächlichen Tableau wird. Und dabei Längen aufweist, die einem in jahrelanger Ansicht des Stückes nie aufgefallen waren.

Dennoch ist das Publikum bei der Premiere hingerissen – wohl nicht zuletzt aufgrund des Schluss-Pas-de-Deux, den Cranko mit viel dramatischem Genie als Moment höchster innerer Zerrissenheit für Tatjana inszeniert. Hier kulminieren die Spiegelungen und Erinnerungsmomente, die das ganze Ballett durchziehen: der Spiegel-Pas de Deux, das Zerreißen des Briefes sowie andere Momente der ersten beiden Akte werden reflektiert; die Auflösung ist ein Moment der tiefsten Leidenschaft, die so bei Puschkin nicht zu finden ist. Wie die ganze romantische Färbung des Balletts: Cranko ging es nicht um Sozialkritik (die im Tanz schwierig darzustellen ist), sondern um die Beziehung zwischen Personen und die Kunst, diese rein durch Schritte in all ihren Nuancen darzustellen. Manuel Legris, Startänzer der Kompanie, wollte in diesem Stück seinen Abschied als Etoile der Pariser Oper geben: seine Abschiedsvorstellung am 15. Mai begann mit einem Défilé der ganzen Kompanie zu seinen Ehren und endete mit Standing Ovations seiner aus aller Welt angereisten Fans. Allerdings handelt es sich nicht um einen definitiven Weggang: in einem Monat wird er als Charlus in Roland Petits „Proust ou les intermittences du coeur“ wieder auf der Bühne des Palais Garnier stehen, und auch danach wird die Pariser Oper wohl nicht zögern, ihren Star als Gast zurückzuholen. Im Sommer 2010 wird er sich schließlich an die Donau verabschieden, wo er die Direktion des Balletts der Wiener Staatsoper und Volksoper übernehmen wird.

Legris ist ein gemessener Onegin, der alle Erfahrung, die er als Tänzer und Darsteller in seiner langen und repertoirereichen Karriere gesammelt hat, in dieser Rolle kumuliert. Er ist von Anfang an völlig in seiner Welt, weniger bösartig als gedankenlos, perfekt in seinem Spiel mit Olga und am Ende von echter Reue durchströmt. Clairemarie Osta bietet eine recht konturarme Tatjana, die vor allem im Schluss-Pas-de-deux zu exzessiver Mimik und Gestik neigt. Mathias Heymann als Lenski glänzt durch lupenreine Linie und Technik und er verspricht, mit einiger Erfahrung auch an darstellerischer Tiefe zu gewinnen. Myriam Ould-Braham als Olga ist herrlich leichtfüßig und flatterhaft.
Crankos Figuren lassen in ihrem Reichtum viele Interpretationen zu – und so war es höchst interessant, nach Stuttgart, London, München und Berlin Darsteller aus einer ganz anderen Schule in diesem Werk zu entdecken. Und damit auch neue Nuancen des Klassikers, der sich nun eine weitere der weltweit bedeutendsten Ballettbühnen erobert hat.

Vorstellungen bis zum 20. Mai 2009 Paris, Palais Garnier

www.operadeparis.fr

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