LAOKOON: Kampnagel Sommerfestival

Shen Wei Dance Arts mit „Rite of Spring/Folding“

Hamburg, 22/08/2005

Shen Wei Dance Arts (USA) eröffnete mit vier Vorstellungen von „Rite of Spring/Folding“ das diesjährige Laokoon-Festival auf Kampnagel. Alvaro Restrepo, Choreograf aus Kolumbien, hatte das Programm unter dem Motto „der Körper als Spiegel der Seele“ zusammengestellt: Neun Ensembles und Solisten, darunter Rosas, Dominique Dupuy, Pilar Medina, aus sieben Ländern treten bis zum 3. September auf.

Tanz, Malerei und Musik verschmilzt er miteinander, heißt es im Pressetext über Shen Wei, der seit 2000 seine eigene Company hat, vorher bei der „Guangdong modern dance company“ in der gleichnamigen Provinz in Südchina tanzte und choreographierte, 1995 nach New York wechselte. Mit Strawinskys „Rite of Spring“ - zur explosiven Klavierfassung für vier Hände, furios gespielt von Fazil Say - präsentierte er in Hamburg eine Choreographie, in der sich fernöstliche Anmutungen, etwa in den subtil geführten Händen, mit westlichen Momenten kreuzen. Der Bühnenboden wirkt wie eine Leinwand, teils bedeckt mit weißen Flächen, in Segmente aufgeteilt durch unregelmäßig verlaufende Linien. Die elf weißgesichtigenTänzer/innen treten vor Einsetzen der Musik einzeln in zeremonieller Bedächtigkeit lautlos auf, anscheinend laufen alle auf Socken. Ein wenig erinnern sie an Zombies, Lächeln verboten, selbst bei der exakt gestalteten Schlussverbeugung ändert sich nichts in den steinernen Mienen.

Sachte beginnen sie sich zum Vorspiel zu bewegen, beim Eintreten der Blockakkorde (Tänze der jungen Mädchen) schießen Einzelne hoch, drehen sich, springen, trippeln, außen bewegen sich einige auf allen Vieren. Shen Wei verzichtet auf die Wucht geschlossener Ensembles, bleibt durchwegs kammertänzerisch, horcht die Vorlage sehr sensibel aus und reagiert fein: akzentuiertes Ein- und Ausdrehen von Armen und inen, Schultern und Hüften gegenläufig führen, den Körper in sich verdrehen, auskomponiertes Nutzen der Bühnenfläche.

Daraus resultieren faszinierte „malerische“ Momente in den lyrischen Abschnitten der Komposition. Greift Strawinsky quasi zu nackter Gewalt wie in der „Verherrlichung des Auserwählten“ oder dem „Opfertanz“, in der Klavierfassung zu klirrender Härte verdichtet, so vermag oder will Shen Wei dem nichts Gleichwertiges entgegensetzen. Die Ausbrüche sind nur verhalten. Je näher das Finale rückt, desto unverbindlicher wirkt der Bewegungskanon. Es verläppert sich. Die teils sehr individuell profilierten Tänzer/innen, darunter Shen Wei, meistern den Lungenreißer souverän.

Umgekehrt das Verhältnis beim zweiten Stück „Folding“: Die Choreographie in strikter Zeitlupe macht die dünne, harmonisch süßliche Vorlage, John Taveners „Last sleep of the Virgin“, vergessen. Musikalisch elementar wirkt allerdings der Beginn mit tibetanisch buddhistischem Gesang. Rote Gewänder mit langer Schleppe, körperfarbener Top, Hinterkopf durch einen länglichen Aufsatz hervorgehoben, weiße Streifen im Gesicht - wie Wesen aus einer anderen Welt treten die Tänzer/innen auf, gleiten mit rollendem Schwerpunkt (Schultern bleiben auf gleicher Höhe wie in slawischer Folklore) über die spielblanke Fläche. Dazu gesellen sich nach und nach schwarze Doppelgestalten, Mann und Frau in scheinbar einem Gewand, die sich wie Pflanzenblüten auseinander falten und wieder zusammenfügen. Hier und da lässt einer seine Partnerin herab auf die Schleppe und zieht sie, wie auf einer Barke, quer über die Bühne. Vor dem bläulichen Hintergrund mit einem diagonal schwimmenden Fisch und einigen Zeichen entfaltet sich eine Welt atemberaubender, geheimnisvoller Schönheit, die nicht die Grenze zum Kitsch überschreitet.

Zum Märchenhaften steigert sich das Finale, wenn die Rotgewandeten im Hintergrund auf etwas emporsteigen, das im Dunkel nicht zu sehen ist. Das erweckt tatsächlich, wie im Programmflyer hervorgehoben, eine magische Atmosphäre, unterstreicht den meditativen Charakter von „Folding“. Wie in „Rite of Spring“ exekutieren die Tänzer/innen den holzschnitthaften Bewegungsablauf mit unbeirrbarer Präzision - und ohne eine Miene zu verziehen.

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