Kampf, Begehren und Vertrauen

„Frère&Soeur“ von Mathilde Monnier beim Tanz im August

Berlin, 19/08/2005

Am Anfang war der Alarm. Die Kompanie erscheint zu Erikms Collage aus repetitivem Elektrosound. Die Tänzer verteilen sich in Anzug, Pullover und Jackett über den Bühnenraum, bevor sie in den schmalen Öffnungen eines schwarzen Quaders verschwinden. Die Bühne zeigt alles: Es gibt keine Gassen und der schwarze Quader entpuppt sich später durch Drehung als Umkleide; jeder intime Raum wird öffentlich.

In Monniers „Frère&Soeur“ kämpfen Hinz und Kunz wie Katz und Maus und wer eben noch Opfer war, wird in der nächsten Sekunde zum Täter. Da wird getreten, geworfen, an den Haaren gezogen, geohrfeigt und gebissen und wenn die Tänzer ihre verlängerten Pullover über den Kopf ziehen und sich maskieren, denkt man unweigerlich an „Clockwork Orange“. Doch dann ist da diese andere Komponente der Lust, und der Tanz wird zu einem Kampf zwischen Aggression und Begehren. Die Bühne ist unterteilt in drei weiße Quadrate, auf denen sich zeitgleich unterschiedliche Beziehungen entwickeln: Ein einsames Solo auf der einen, Umarmungen und Küsse auf der anderen Seite und in der Mitte der Ausdruck von Vertrauen, wenn eine Tänzerin von zwei anderen in die Luft gehoben und getragen wird. Dann werden die Personen in schneller Folge ausgetauscht und es entstehen für kurze Zeit neue Beziehungen. Per Mikrofon werden Dialoge aus „Große Erwartungen“ von Kathy Acker über die Liebe rezitiert: Vorwürfe, Enttäuschungen, Aussprachen und Hoffnungen.

Nicht ganz klar wird der Titel, denn in „Frère&Soeur“ geht es eigentlich nicht um Geschwisterbeziehungen in der Art des Hauses Usher. Der Abend ist vielmehr eine affektgeladene Collage aus unzähligen denkbaren Beziehungskonstellationen und -ausprägungen. Was diese Studie sehenswert macht, ist die schonungslose Analyse von scheinbar unendlich oft wiederholten und doch immer unterschiedlichen Begegnungen, die die widersprüchlichsten Gefühle scheinbar selbstverständlich nebeneinander bestehen lassen.


Noch am 19. und 20. August im HAU 2
Link: 
www.tanzimaugust.de / www.mathildemonnier.com

 

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