„Romeo und Julia“ von Mei Hong Lin

In ewiger Liebe vereint

Mei Hong Lins „Romeo und Julia“ in Linz

Alles ist Ekstase, Aufbäumen, Liebestaumel. Hundert Minuten braust der theatrale Tsunami über die Bühne des Linzer Musiktheaters. Dann triumphiert die ewige Liebe. Lins These: Jeder kann ein Romeo sein - jede eine Julia.

Linz, 24/03/2018

Ganz anders als die meisten Choreografen interpretierte Mei Hong Lin den Shakespeare-Klassiker schon Ende 2011 im Kleinen Haus des Staatstheaters Darmstadt. Jetzt hat Trainingsleiterin Christina Comtesse das Tanzstück mit Lins 20-köpfiger Linzer Truppe neu einstudiert. Alles ist Ekstase, Aufbäumen, Liebestaumel. Hundert Minuten braust der theatrale Tsunami über die ultramoderne, riesige Bühne des Linzer Musiktheaters. Dann triumphiert die ewige Liebe – paarweise, ausgelassen und witzig als Teil der Verbeugungsordnung vergewissern die Tänzer das Publikum: war ja nur alles Theater – in der koketten Leichtigkeit fast ein Widerspruch zum philosophischen Ansatz Mei Hong Lins.

Nicht die Liebestragödie aus den rivalisierenden Veroneser Familien auf Sergej Prokofjews zündende Ballettmusik steht im Vordergrund. Vielmehr widmet sich Lin dem uralten Mythos von der ewigen Liebe, die sich im gemeinsamen Tod vollendet. Der Schweizer Serge Weber komponierte ihr 2011 dazu einen Raumklang, der in Linz das gewaltige Gebäude vibrieren lässt und mit vielschichtigem Kolorit das orgiastische Welttheater zwischen Himmel und Hölle, aus verzückter Liebe und berechnendem Hass konterkariert. Dirk Hofackers überaus fantasievolle, differenzierte Kostüme und seine prachtvoll ausgeleuchtete Bühneninstallation aus Schloss, Gasse und Kathedrale verleiht der immens ausdrucksstarken Choreografie bei aller emotionalen Intimität und Intensität großartige Wirkung.

Der Wunschtraum aller Liebenden seit Menschengedenken – gemeinsam zu sterben, um ewig vereint zu sein – wird zum Alptraum, wenn die Liebe, wie bei Romeo und Julia ebenso wie bei Tristan und Isolde und so vielen anderen Paaren durch die Zeiten, verboten ist. Lins These: Jeder kann ein Romeo sein – jede eine Julia. Urko Fernandez Marzana und Rie Akiyama treten nur als „Symbol der jungen Liebe“ auf. Zehn Paare treffen aufeinander, zwanzig Temperamente – vereint durch die Sehnsucht nach Liebe oder auch motiviert von Hass, Machtgier und Berechnung. Denn Hass und Liebe – so belehrt das Programmheft – entspringen demselben Großhirnareal. Der Kampf der jungen Männer aus beiden Lagern (Yu-Teng Huang und Pavel Povrazník) ist „Symbol der Fehde“ – ein ebenso kurzes Geplänkel zweier Roboter. Symbolträchtig auch die (faszinierend eingeblendete) Werbung von Graf Paris um Julia: Hier werden ihr Äpfel gereicht als der für ihn Schönsten, Begehrenswertesten; dort verwirrt eine rote Rose das blutjunge Mädchen. Dazwischen blitzt silbern eine Phiole auf.

Einen Prolog stellt Lin, außer den „Symbolen“, ihrer emotionalen Deutung voran, um die Vorgeschichte von Shakespeares Tragödie in Erinnerung zu rufen. Das grausame Fazit des gemeinsamen Liebestodes: Ein Jahr nach dem Ableben des jungen Paares trennt unversöhnlicher Hass noch immer die beiden Veroneser Familien am Sarkophag der Kinder. Als Retrospektive entrollt sich das damalige Geschehen. Aber kaum angedeutet werden die bekannten Shakespeare'schen Szenen und Schauplätze. Vor allem kreisen die brillanten, technisch unglaublich vielgestaltigen Ensembles und Pas de deux um alle nur denkbaren emotionalen Varianten von Zweisamkeit. So echt kommt das vielfache, tragische Nacheinander innerhalb nur weniger Tage von „himmelhoch jauchzend“ bis „zu Tode betrübt“ rüber, dass die von der Choreografin angedachte Allgemeingültigkeit auch das gefühlte Mitleiden vervielfacht.

 

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