„Princess“ von Eisa Jocson 

Politik könnte (man) tanzen

Reflektionen über die diesjährige Tanzplattform im PACT Zollverein in Essen

Insgesamt scheint die politische Ausrichtung der diesjährigen Tanzplattform in der Theorie weiter zu sein als in der Praxis.

Essen, 18/03/2018

Ob (man) Politik tanzen kann, beziehungsweise wie politisch sich Tanz zeigt oder positioniert – so könnte die Leitfrage der diesjährigen Tanzplattform lauten. Die ausgewählten Tanzproduktionen sind nicht älter als zwei Jahre und haben mindestens einen deutschen Koproduzenten – so die Formalitäten. Eine kleine linguistische Verschiebung von der Tanzplattform Deutschland hin zur Tanzplattform in Deutschland soll diesjährig die transnationale Ausrichtung des Festivals betonen. Aber warum sollte Deutschland nicht sowieso genauso sein, wie sich die Tanzplattform präsentiert: kulturell vielfältig, international vernetzt und global agierend?

Das Eröffnungsstück setzt dahin gehend einen starken Anfang: „The way you look (at me) tonight“ von Claire Cunningham und Jess Curtis bildet eine kleine utopische Insel von einer Gesellschaft, wie man sie sich wünscht. Der respektvolle Umgang beider Performer*innen übersetzt sich gleich auf mehrere Ebenen: in die charmanten Dialoge, in denen Cunningham Jess Curtis mit ihrer Tanztechnik vertraut macht, in die liebevolle Kontaktimprovisation, in der Cunningham mithilfe ihrer Krücken, auf die sie im Alltag angewiesen ist, die hier aber zu einem bewegungsgenerierenden Objekt werden, über den Körper von Jess Curtis, sowie über zufällig herumliegende Beine oder Füße der teilweise auf der Bühne platzierten Zuschauer*innen wandert. Oder auch thematisch in die philosophischen Texte (Dr. Alva Noe/ Yoann Trellu), die über Freundschaft und Gemeinschaft reflektieren: „…what does love mean if not to really see someone?“

Danach flacht die politische Agenda ab, ebenso wie der Abend von Sasha Waltz, die im ersten Bild halbdurchsichtige Kreaturen und (menschliche?) Wesen in skulpturalen Kostümen über die Bühne wandeln lässt – ein spannendes Bild, das viel zu schnell abgebrochen wird und auf das Beliebigkeit folgt: Große, mitunter politisch wirksame Bilder werden aufgebaut, an einer Stelle klettern alle Tänzer*innen auf die am Bühnenrand platzierte, weiße Treppe und drängeln sich auf einem Plateau, halten sich gegenseitig und rutschen trotzdem ab, evozieren das medial gegenwärtig vielfach verbreitete Bild von Geflüchteten, die dicht gedrängt in einem Boot hocken. Doch dann wird dieses aufgeladene und große Bild einfach mit einem Black abgebrochen, so als wüsste die Choreografin selbst nicht wohin mit sich oder ihrer Choreografie.

Auch das zurzeit an vielen großen Häuser tourende Stück der Kompanie Grupo de Rua/ Bruno Beltrao kratzt nur an der Oberfläche: Es sieht zwar schön aus, wenn die 10 ausschließlich männlichen Tänzer sich artistisch und virtuos über die Bühne kämpfen, aber der politisch verortete Arbeitsprozess übersetzt sich nicht in die Choreografie, die Energie bleibt an der Rampe hängen, statt sich auf die Zuschauer*innen zu übertragen, um wenigstens über das körperliche Erleben das politische Bewusstsein einer Gemeinschaft zu kreieren.

Das liegt sicher auch an der Bühnensituation, denn im Gegensatz dazu erschafft die Cocoondance Company – schon allein über die räumliche Enge – ein intensives kinästhetisches Ereignis, das zwischen den (wieder ausschließlich männlichen) Tänzern und Zuschauer*innen vibriert. Das ungleiche Geschlechterverhältnis fällt vor allem dann in den Blick, wenn die beiden Produktionen der Grupo de Rua/Bruno Beltrao und der Cocoon Dance Company in der eigenen Tagesauswahl aufeinanderfolgen. Da fragt man sich dann schon, warum die kraftvollen und energetischen Tänze nur von Männern getanzt werden können. Während der Beat in ihrem Körper pocht (Live DJ: Franco Mento), winden, schlängeln und kriechen die drei Tänzer so über den Bühnenboden, dass er in die Vertikale kippt. Das Gesicht mit schwarzen Masken verhüllt, flackern zwischendurch politische Bilder auf, verwandeln die drei Performer mal in gefangene Geiseln, die Rücken an Rücken in politischer Gefangenschaft fristen, mal in linke Aktivisten, die gemeinsam eine Wand erklimmen. Hier zeigt sich, wie man Politik tanzen kann: nämlich nicht nur, indem politische Themen verhandelt werden, sondern auch, wenn über temporäre Gemeinschaften erspürt wird, wie man gemeinsam politisch handeln könnte.

Diese „togetherness“ – wie sie bei einer der morgendlichen 'Assemblies' zum Thema „Gesellschaftliche Wirkweisen.“ benannt wurde, war leider zu wenig bei der Produktion „the last IDEAL PARADISE“ von Claudia Bosse/Theatercombinat spürbar, das (politisch) zu viel wollte und deswegen versuchte, „alles“ in zweieinhalb Stunden unterzubringen, die dadurch aber nicht schneller vergingen.

Auch wurde das Gemeinschaftsmoment bei Richard Siegals Kompanie Ballet of Difference wenig evident. Die vielen Ballettkörper, die mit aufblasbaren Designkostümteilen über die Bühne schweben, sind weniger diverse als transnationale Körper. Ihre kulturellen Zuschreibungen verschwinden zwar hinter der Form des klassischen Balletts, das dafür leider andere Zuschreibungen produziert, vor allem veraltete Genderrollen, in denen die Frauen als liebliche Wesen inszeniert werden, die von Männern weggetragen werden, nachdem sie in ihrer Muttersprache mit „Ola“ oder „Bonsoir“ das Publikum willkommen heißen. Dass es ungewöhnlich oder erwähnenswert ist, dass ein „Ballet of Difference“ auch Tänzer*innen of color inkludiert, bezeugt, wie wenig vielfältig die deutsche Tanzlandschaft vor allem in der Ballettszene sich leider nach wie vor gibt.

Erfrischend hingegen zeigt sich der „Nachwuchs“, zum Beispiel die „Situation mit Doppelgänger“, in der Aneignungsdiskurse explizit verhandelt werden und in der die personelle Doppelung des schwarzen Dramaturgen Julian Warner und des weißen (Schreibweise von der begleitenden Publikation entnommen) Regisseurs Oliver Zahn die Zuschauer*innen nicht nur einem rassistischen Blick aussetzt. Er zwingt sie vielmehr dazu, sich mit den eigenen Vorurteilen zu befassen und thematisiert zugleich auf kluge Weise das Verhältnis von Tanz und Nicht-Tanz in zeitgenössischen Diskursen. Es macht den (Schuhplattler-)Tanz als kulturelles Produkt erkennbar, das zwar transkulturell zirkuliert, dabei aber nicht von hegemonialen Machtverhältnissen befreit bleibt, die bestimmen, wer sich welchen Tanz aneignet.

Ebenso intelligent wie humorvoll ist auch die Produktion „Princess“ von Eisa Jocson: Über die zwanghafte Wiederholung „prinzessinnenhafter“ Gesten und Haltungen sowie über die liebliche Stimme der beiden Performer*innen (Eisa Jocson und Russ Ligtas) wird die Disneyversion von „Schneewittchen“ und die darin verhafteten Geschlechterklischees der Mutter, der Haus- und Putzfrau mit den „Haaren so schwarz wie Ebenholz“ kritisch hinterfragt. Am Ende versuchen sich beide Performer*innen von ihren Prinzessinnenkleidern zu befreien, nur um darunter ein weiteres Prinzessinnenkleid vorzufinden: die traurige „never ending story of sexism“ ermöglicht auf der Bühne wie im Leben leider (bisher) kein „happily ever after“ …

Insgesamt scheint die politische Ausrichtung der diesjährigen Tanzplattform in der Theorie weiter zu sein als in der Praxis. Die begleitenden Diskursformate in der Publikation „Arbeitsbuch“, die statt eines zeitgenössischen Kanons in Form choreografischer Kurzporträts auf die Reflexion eben dieser Kanonisierung setzt, ist ebenso wie die morgendlichen Diskussionen und das „Artist Summit“ – das als eigenständiges Format parallel zur Tanzplattform als Versammlungsort und Ideenschmiede unter anderem alternative Produktionshäuser (oder Tanzfestivals) von Morgen imaginiert – der Tanzplattform selbst drei Schritte voraus.

Bleibt nun zu hoffen, dass etwas von dem, was da parallel zusammengedacht und in der Theorie reflektiert wurde, für die nächste Tanzplattform Früchte trägt oder gar Brezn hervorbringt, denn für 2020 wurde der Staffelstab an München übergeben. Servus Tanzplattform!

 

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