„Made for Walking“ von Richard Siegal, Tanz: Courtney Henry, Margarida Neto, Claudia Ortiz Arraiza, Matthew Rich 

Mosaik der Bewegung

Richard Siegals Ballet of Difference mit „On Body“ in der Münchner Muffathalle

In der Tanzszene Münchens ist er seit Jahren ein geschätzter Choreograf. Nach dem Debüt seines Ballet of Difference im Rahmen des Münchner DANCE-Festivals vergangenen Mai zeigte Siegal erneut einen dreiteiligen Abend - mit der Neukreation „Made for Walking“.

München, 05/03/2018

Mit dem dreiteiligen Ballettabend „On Body“ zeigt sich Richard Siegal und sein Ballet of Difference nach der Eröffnung des Festivals Dance 2017 erneut in München. Unterstützt durch das Kulturreferat, die Muffathalle München sowie das Schauspiel Köln erinnert das Modell an die Dresden Frankfurt Company (hervorgegangen aus der Forsythe Company), die ähnlich zwischen zwei Städten – Frankfurt und Dresden – pendelt.

Siegal, der selbst Tänzer bei William Forsythe war, definiert nun – drei Jahrzehnte nach dessen Werken am Ballett Frankfurt, welches Potential Ballett im 21. Jahrhundert haben kann. Sein dreiteiliger Abend ist Bestandsaufnahme des ersten Jahres Ballet of Difference, so scheint es, und wird zur Auseinandersetzung mit seinem Material und bisherigen Repertoire.

Das neu einstudierte „Unitxt“, das ursprünglich 2013 am Bayerischen Staatsballett entstand und Siegals Hinwendung zum klassischen Tanz markiert, spannt denn auch einen Bogen um die künstlerische Entwicklung des US-amerikanischen Choreografen in den vergangenen Jahren. Experimentierte er als freier Choreograf bis dahin mit seiner choreografischen Methode „If/Then“ und damit einhergehenden Aktions-Reaktions-Schemata von Bewegungen, mit Schwarmintelligenz und kollektiven Prozessen sowie verschiedenen Tanzstilen von Hip-Hop bis hin zu Volkstänzen, konzentrierte sich sein Interesse bei der Kreation von „Unitxt“ auf die Möglichkeiten eines Ballettkörpers, seiner Erweiterung und Begrenzung. In Zusammenarbeit mit dem Industriedesigner Konstantin Grcic beschäftigte er sich in der Reibung von Objekten (wie die mit Schlaufen versehenen Korsagen der Tänzerinnen oder auch des Spitzenschuhs) und Körper mit dessen Gestalt und Form. In welcher strengen Struktur diese Beschäftigung geschah, machte die Aufführung nun im Rahmen des Abends „On Body“ deutlich, die Brücke und Kontrast zur Choreografie „BoD“ bildet.

Denn bei diesem – wie Siegal es nennt – Signaturstück seiner Kompanie setzt sich die Choreografie einem Mosaik gleich aus verschiedenen Bewegungselementen und Tanzstilen zusammen, zu immer neuen Körpergebilden. Das Mechanische der Körper löst sich in den wuchernden Formationen auf, die Luftpolster-Kostüme der Designerin Becca McCharen treffen auf die scheppernd-pulsenden Rhythmen der Komposition von DJ Haram. Rasselnde Gebeine winden sich durch immer neue Figurationen, mal wirken sie flattrig, mal wie in den Raum gestanzt. Zugleich fächert die Choreografie präzise das Bewegungsarsenal des Choreografen auf, zeigt seine Lust am Spiel mit den Möglichkeiten und reflektiert dabei über den Prozess des Choreografierens selbst. Der Titel des Abends – „On Body“ – steht programmatisch für diese Auseinandersetzung mit und am Körper als Werkstoff. Und „BoD“ demonstriert, wohin diese führen kann.

Wie so oft überrascht Siegal – diesmal mit der Neukreation „Made for Walking“. Irritierte das pathetische Zwischenstück „Excerpts of a Future Work on the Subjects of Chelsea Manning“ bei der Eröffnung des Dance-Festivals so manchen Zuschauer, reiht sich dieses Quartett nahtloser in den dreiteiligen Abend und auch in Siegals Interessen an Bewegungspotentialen des Körpers ein. Als zweiter Teil des Abends wird es zur Fortführung von „BoD“ und zoomt hinein in den Kosmos des Choreografen. In schlicht-raffinierten Unisex-Kleidern des Acne Studio und mit schweren Stiefeln ausgestattet, stampfen die vier Tanzenden Rhythmen, erzeugen Klänge mit ihren Händen am eigenen Körper und rekurrieren in ihren Schrittformationen auf das grundlegende (Fort-)Bewegungselement des menschlichen Körpers: das Gehen und Laufen. Das polyrhythmische Umkreisen des Körpers wird nur durch den Choreografen selbst unterbrochen, der am Soundpult die Regler bedient, Teile der Choreografie wie in einer Probensituation kommentiert.

Die Geschichte, die diese Körper erzählen, ist nicht die einer jahrhundertealten Tradition noch einer absoluten Gegenwärtigkeit. Sie haben die Routinen ihrer Tanztechnik längst durchbrochen. Stattdessen verweisen sie – eingefasst vom installativen Charakter des Bühnenraums aus weißen Leinwandflächen und Holzkuben – auf ihre Potentiale. Und dazu gehört auch – das ist eine der herausragenden Erfahrungen des Abends – dass man in all ihrer Differenz nicht auf Identität, Geschlechts- oder Nationenzugehörigkeit der Tanzenden hingestoßen wird, sondern diese Vielheit einfach wahrnimmt und das im Rahmen einer dichten, ästhetischen Erfahrung durch die Verflechtung von Sound, minimalistischer Bühnen- und Lichtgestaltung, aufwendigem Kostümdesign und der Begegnung der virtuosen Tänzer*innenkörper in einem Prozess von Choreografie.

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