„Romeo und Julia“ von Bridget Breiner

Eishockey meets Neoklassik

Wieder Shakespeare beim Ballett Im Revier in Gelsenkirchen: Bridget Breiners „Romeo und Julia“

In „Romeo und Julia“ pendelt Breiner zwischen Science Fiction, Antike und Renaissance. Ihre Choreografie ist eine Liebeserklärung an das neoklassische Ballett.

Gelsenkirchen, 18/02/2018

Die Montagues und Capulets kämpfen gegeneinander wie außerirdische Eishockeyteams in eng anliegender schwarzer Lederrüstung, unter vergitterten weißen Schutzhelmen und bunten Gelenkschonern. Holzstäbe sind ihre Waffen. Mobile Gitterwände, geschwungene Gehege und Laufräder aus schmalen Latten begrenzen ihr Terrain. In diesem grandios theatralen Ambiente von Rivalität und Gewalt (Ausstattung Jürgen Kirner) entwickelt sich die rührendste und traurigste Liebesgeschichte der Weltliteratur. Bridget Breiner pendelt in ihrer „Romeo und Julia“-Inszenierung zwischen Science Fiction, Antike und Renaissance. Ihre Choreografie ist eine Liebeserklärung an das neoklassische Ballett des 20. Jahrhunderts mit deutlich eigener Signatur der amerikanischen Ballerina, die auch choreografisch von der Stuttgarter Schule und deren Heros John Cranko geprägt worden ist. Mit dessen Shakespeare-Balletten begann bekanntlich der Lauf von Prokofjews heute meist gespieltem Ballett im Westen.

Breiner fügt als „Chorus“ (in Anlehnung an den antiken, das Geschehen kommentierenden Chor?) eine weibliche Figur ein, die vor Beginn und immer wieder zwischendrin, begleitet von flüsternden oder laut rezitierenden Stimmen, die Szene betritt. Bridgett Zehr tanzt sie mit atemraubender Eleganz und überaus geschmeidig. Leider sind die vielfach überlagerten Texte in verschiedenen Sprachen nicht zuzuordnen. Neben Shakespeare auch Friedens- oder Versöhnungsappelle?

Düster und menschenfern bleibt auch die „Chronos-Gruppe“, die, unter Henkerkapuzen und Capes verborgen, nach dem Chorus-Vorspiel die weißen Tücher von den erstarrten Kampf-Gruppen entfernt. Wie Walküren sammeln sie nach dem Gemetzel die Toten vom Schlachtfeld auf, häufen sie auf ihren Rollwagen mit dem hölzernen Totengerippe. Effektvoll archaisch beginnt dieser Auftakt zur Kakophonie von Prokofjews Kampf-Musik. Breiner nimmt den deprimierenden Schluss vorweg, dass die Liebe des jungen Paares die Versöhnung der Veroneser Adelsfamilien nicht bringen wird.

Im Übrigen aber erzählt Gelsenkirchens Ballettdirektorin die Liebestragödie in großen Zügen so, wie Shakespeare sie erdachte. Prachtvolle Bilder reihen sich zu der so plastischen Musik mit ihren schnell wechselnden Rhythmen aneinander. Die Neue Philharmonie Westfalen spielt sie unter Rasmus Baumann vorzüglich. Großartige Ballroben, edle Gewänder und pfiffige Volkskleider mit Röcken aus wehenden bunten Bändern spiegeln die Veroneser Renaissance. Grandios getanzte Gruppenszenen wechseln mit charaktervollen, technisch anspruchsvollen Soloauftritten. Ledian Soto tanzte bei der Premiere den Romeo federleicht und so ausdrucksvoll wie er jünger, natürlicher, glücklicher und verzweifelter kaum denkbar ist. Francesca Berruto rührt – bei kraftvoller akrobatischer und athletischer Virtuosität mit makelloser Spitzentechnik – als Hauch eines jungen Mädchens, das angesichts von Romeo plötzlich eine neue Welt, ein ganz anderes Leben ahnt als die von den Eltern geplante steife Existenz an der Seite von Paris, obwohl dieser junge Mann hier beileibe nicht den stinkreichen Langweiler gibt wie meist. Carlos Contreras tanzt wie ein junger Gott und entzückt mit seinem unwiderstehlichen Lächeln. Da wünscht man ihm durchaus nicht derart spießige, zickige Schwiegereltern (Lady und Lord Capulet) wie sie die schöne Tessa Vanheusden und der drahtige José Urrutia porträtieren.

Dass Pater Lorenzo hier zu einem derwischartigen Wirbelwind in flatternder Soutane wird, ist Breiners generöses Geschenk an den dynamischen Paul Calderone – und das Publikum! Louiz Rodrigues (Mercutio), Valentin Juteau (Tybalt) und Rita Duclos (Zofe) komplettieren das Ballett im Revier bei dieser bemerkenswert reifen, gelungenen Premiere in Gelsenkirchen.

 

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