„Carne Vale“ von Ben J. Riepe

Spiel, Ritual und Rausch

Ben J. Riepes „Carne Vale“ in der Kunsthalle Düsseldorf

Es ist, als ob hier ein Fest gefeiert wird, bei dem sich der Mensch seinem Körper so, wie Gott ihn erschaffen hat, hingeben darf.

Düsseldorf, 07/02/2018

Spiel, Ritual und Rausch. Das sind die Ereignisse, aus denen Riepe seine vier Darsteller die Performance zünden lässt. „Carne Vale“, jetzt in der Kunsthalle Düsseldorf wiederaufgenommen, entpuppt sich als packende Tour de Force durch die Kulturen der Welt. Ein Teufelsritt auf weißem Podest im White Cube, während sich die Jecken draußen vor der Tür bereits warmlaufen. Es ist nicht mehr lang hin zum Rosenmontagsumzug.

Ben J. Riepe zählt zu den profiliertesten Künstlern in Nordrhein-Westfalen. Seit Jahren spitzengefördert und Affiliated Artist bei Pact Zollverein in Essen, steuert er seit dieser Woche auf seine erste Produktion für das Ballett der Oper am Rhein Ende April zu. „Environment“ entsteht auf Einladung von Martin Schläpfer für die Tänzerinnen und Tänzern der Kompanie; für Menschen, die eine klassische Tanzausbildung absolviert haben und die ihren trainierten Körper als Instrument für den Vollzug einer perfekt einstudierten Position oder eine festgelegte Bewegung zu benutzen wissen. „Carne Vale“ bildet dazu bereits jetzt den spannenden Kontrapunkt. Es ist, als ob dort ein Fest gefeiert wird, bei dem sich der Mensch seinem Körper so, wie Gott ihn erschaffen hat, hingeben darf. Die Aufführung hat dabei die Kraft, die Grenzen zwischen den Zeiten und den Räumen zu durchstoßen.

Schnell bewegt man sich im Rhythmus mit, kaum haben die Performer Simon Hartmann, Petr Hastík, Sudeep Kumar Puthiyaparambath und Daniel Ernesto Müller Torres ihre Utensilien aus Stoffen, Jacken, Rollen aus Karton und Klebebändern am Rand abgelegt und begonnen, variantenreich zu hüpfen, zu wippen und zu wedeln. Der erste Freudenschrei aus dem Mund eines Tänzers, ein Loslassen während der Anstrengung, erschallt im Raum. Die anderen haken sich unter. Drehen sich mit weit geöffneten Armen im Kreis. Stapfen und gleiten durch den Raum, immer auf den Ton des anderen achtend, eine immer vielstimmiger werdende Komposition aus stampfenden und gleitenden Schritten und Atemgeräuschen. Rizzos Aufarbeitung von Bewegungen aus Volkstänzen in „D´après une histoire vraie“ lässt grüßen. Nur ist Riepes Gestus ein anderer. Nie hat man das Gefühl, er zeige demonstrativ etwas auf. Vielmehr wird man Teil von etwas. Die von ihm konzipierte und choreografierte Performance erzeugt einen Strom unterschiedlicher Erfahrungen und Emotionen, der einen schlicht: mitnimmt. Festhalten sinnlos.

Irgendwann kommen die Tänzer zusammen, um das nächste Kapitel ihres Karnevals aufzuschlagen. Der Übergang erfolgt unaufgeregt, leise. Sie entkleiden sich. Einer bindet sich Kuhglocken um die Hüften, und plötzlich wirbelt er damit über die Bühne. Unmittelbar nimmt man den Funken Unglaube in sich wahr, noch bevor man begreift, dass sich hier Ekstase Bahn bricht. Ein Zustand, der altmodisch wirkt, wo es draußen nur noch um Informationen, Vernetzung, Dialogpflege, Digitalisierung und Optimierung geht. Riepes „Carne Vale“ triumphiert hingegen über den Verstand und huldigt dem Köper als Ort der Welthervorbringung, des Rhythmus und des Klanges, aber auch der Selbst- und Herrschaftsdarstellung.

Die Männer halten ihre Rohre aus Karton. Sie bilden einen Chor von Alphornbläsern. Danach steigern sie ihr Crescendo. Sie kleben sich Rohre um die Beine. Die Arme. Der Körper wird geschmückt, das Rohr in den Mund geschoben. Der Oberkörper sinkt. Es entstehen Leiber von Insekten mit langen Rüsseln, danach vom Himmel gefallene Kreaturen. Wie in einem Kaleidoskop verändert sich das Bild mit jedem längeren Moment. Die Männer werden zu Herrschern, Königen, Kriegern, Gladiatoren und Göttern. Und sie bilden ab der ersten Sekunde eine Gemeinschaft. Nie sind sie alleine, auch wenn sie sich individuell bewegen. Das ist vielleicht das spannendste Narrativ an diesem besonderen Karneval. Das, was sie im Tanz praktizieren, ist nur mit dem Anderen im Raum möglich. Man vergisst es im Alltag der Komplizenschaften.

Das dritte Kapitel ist, wenn man so will, der Verhüllung des Körpers gewidmet. Die Darsteller durchwandern die Ikonografien verborgener Körper in den Weltkulturen, nur sekundenlang, aber prägnant. Der lasziv sich rekelnde Jüngling darf nicht fehlen. Und wieder finden sie zusammen zu einem einzigen Mantra. Man versteht kaum die Worte. Alles wird auf einer Silbe gesungen. Es ist ein Statement über Kunst. Vielleicht dauert der Weg zurück in den Verstand in diesem Moment auch zu lang. Als ob jemand den Stecker zieht, bricht die Performance ab. Verwundert reibt man sich die Augen. Es fehlt das letzte Kapitel, eine Art überraschende Wendung zum Schluss entweder ins Hier und Heute oder der Tritt über die Schwelle zum Zuschauer. Irgendwas, worin die letzte Konsequenz dieses gewaltigen Panoramas, das Riepe eindrucksvoll entwickelt hat, bestehen könnte. Das aber nur am Rande. Die großartigen Darsteller haben alles gegeben, was ihnen möglich war. Nun zählt man die Tage bis zur Premiere in der Oper am Rhein.

 

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