„BALAGAN BODY“ von Patricia Carolin Mai

Was würdest Du machen?

„BALAGAN BODY“ (UA) von Patricia Carolin Mai auf Kampnagel

Gemeinsam mit Eyal Bromberg erschafft Mai eine Choreografie, in der sich die Chaoskörper (Balagan Body) innerhalb einer präzisen Abfolge chaotisch geben, als widerständige Körper, die der Situation den Kampf ansagen.

Hamburg, 05/02/2018

„Was würdest du machen, wenn dir 60 Sekunden bleiben, um dich in Sicherheit zu bringen?“ Diese Frage stellt Patricia Carolin Mai ihrer deutsch-israelischen Tanzproduktion und Versuchsanordnung voran. Was würdest du machen? Rennen? Innehalten? Liegen bleiben? Basierend auf einer mehrwöchigen Recherchereise in Israel und Gesprächen mit Betroffenen im Ausnahmezustand kreiert Mai eine dreiteilige Tanz-Reihe, dessen zweiter Teil „BALAGAN BODY“ am 31.01.2017 auf Kampnagel uraufgeführt wurde.

Mai liefert keine klaren Antworten, sondern energetische und kraftvolle Bewegungsbilder. Gemeinsam mit Eyal Bromberg erschafft sie eine Choreografie, in denen sich die Chaoskörper (Balagan Body) innerhalb einer präzisen Abfolge zeitweise chaotisch geben, als widerständige Körper, die der Situation den Kampf ansagen, aber auch als stille Körper, die einfach liegen bleiben, wenn es nicht mehr weitergeht.

Zu Beginn stehen sich Mai und Bromberg gegenüber, scheinbar in einer Umarmung vereint. Der Bühnenaufbau liefert ein Spannungsdreieck – beide Tänzer*innen werden rechts und links von Schlagzeuger Benjamin Kövener und E-Gitarristen und Keyborder Samuel Penderbayne umstellt –, das sich von Anfang an auf die Performerkörper überträgt. Mai und Bromberg halten sich fest, oder genauer jeweils die Arme des anderen. Während ihre Füße fest am Boden stehen, bewegen sich ihre Oberkörper langsam hin und her, auf und ab. Ein Spiel zwischen Kräftemessen und Auffangen, zwischen Festhalten und Gehalten-Werden, zwischen Kampf und Stütze.

Wie auch schon im ersten Stück der Triologie „READY TO SNAP“, das 2016 auf K3 debütierte – dominieren schnappende und pendelnde Bewegungen. Der Moment kurz vorm Zuschnappen, das kraftvolle Explodieren aus einer Kippbewegung des Oberkörpers heraus, den Kopf im Nacken flehend nach oben werfend, um daraufhin wieder in sich zusammen zu sinken, sind Bewegungsmotive, an denen Mai weiterarbeitet, sie weitertreibt, so wie sie selbst und Bromberg getrieben werden, von einer Katastrophe, die alles sein kann, Krieg, Zerstörung – jedenfalls so gewaltig, dass man seinem eigenen Körper Gewalt antut, um zu entkommen.

Verschiedene Posen tauchen immer wieder auf, erinnern an Vorheriges, ziehen sich leitmotivisch durch das Stück und reflektieren „den Körper als Archiv von (kulturellen) Erinnerungen“ (Programmheft). Diese Erinnerungen flackern zwischenzeitlich auf, gehen in andere Posen über und bilden über Wiederholungen einen strukturellen Tanzteppich, in dem verschiedene Antworten auf Mais Ausgangsfrage aufklingen: „Was würdest du tun?“ Eine Siegerpose einnehmen? Deinen Kopf schützen? Weglaufen? Oder Liegenbleiben – zusammengekauert – während dein Körper erschöpft von Muskelkrämpfen durchgeschüttelt wird? Würdest du deine Handflächen nach vorne ausstrecken als Zeichen dafür, dass du dich ergibst? Oder würdest du einfach tanzen, dich ablenken, dich in Ekstase begeben, um deinen Körper in andere Extremzustände zu bringen, als der, der dir von außen droht? An einer Stelle wandeln sich die rudernden Armbewegungen in rhythmisches Wippen, aus dem mechanischem Kreisen der Arme wird eine Rave-Bewegung, während elektronische Beats die Bühne erfüllen. Mit einem Gefühl der Überlegenheit blicken die beiden Performer*innen ins Publikum – der einzige Moment im Stück mit direktem Blickkontakt. Doch das aufgesetzte Grinsen ist überspitzt, zu breit, entlarvt die ekstatische Stimmung als eine Anstrengung, die sich von ihren Körpern in das verzerrte Lächeln verlagert.

Kurz vor Ende finden sie wieder zurück in ihre Ausgangsposition. Aber bevor sie wirklich wieder ‚am Anfang‘ sind, bricht das System in sich zusammen, wird die dramaturgische Klammer durchbrochen. Beide Körper fallen um, prallen schwer auf dem Boden auf und bleiben liegen. Während sie dort still verharren, übernehmen die beiden Musiker die Regie und füllen den Bühnenraum mit Rockmusik, in deren wütenden Klängen die Emotionen der stillliegenden Körper aufbrausen.

Aber hier endet das Stück nicht. Stattdessen folgt eine Körperinstallation, die sich als eine weitere Ebene über die vorherige Explosion der Chaos-Körper legt. Mai und Bromberg entledigen sich ihrer Sportkleidung, indem sie sich vorne überbeugen. Den eigenen Rumpf umschlungen, den Kopf so eingeklemmt, dass er nicht mehr sichtbar ist, präsentieren sie ihre Rücken, die wie stolze, eigenständige Wesen hervorragen. So werden sie zu utopischen oder dystopischen Körperknäueln, zu Körpern, die verwundet oder verwundbar erscheinen und einsam umherirren, bis sie sich schließlich aus der Beugung hocharbeiten und abgewendet, aber aufrecht – einer Erlösung? einem Fortschritt? – jedenfalls dem Ende der Performance entgegenblicken. Der Raum erfüllt von einem Nachhallen, bis der Applaus einsetzt. Danach befreit, wie die Körper der Performer*innen.

 

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