„Schwanensee“ von Ben Van Cauwenbergh

Der Klassiker ohne wenn und aber

Ben Van Cauwenberghs „Schwanensee“ am Aalto-Theater in Essen

Der Ballettintendant des Aalto-Theaters gönnt sich zum 10-jährigen Jubiläum publikumswirksamer Arbeit im Revier eine eigene Choreografie, die sich an Petipa anlehnt und das Corps de ballet in den Fokus rückt.

Essen, 29/01/2018

So vielfältig bis zur Verzweiflung waren Peter Iljitsch Tschaikowskys Versuche, die Moskauer Uraufführungspleite von „Schwanensee“ in einen Erfolg umzumünzen, dass er damit jeglichem Experiment Tür und Tor öffnete. Denn Schuld an dem Debakel hatte ja nicht die Musik, sondern das Libretto nach einem ziemlich verworrenen deutschen Märchen. Heute ist sozusagen alles erlaubt – von John Neumeiers genialer psychologischer Studie des Prinzen über die frech-frivole Homo-Satire von Matthew Bourne bis zur bravourös zirzensischen fernöstlichen Show oder Kammerballettchen in der Provinz. Natürlich strömen die Scharen, wenn legendäre Russen in deutschen Stadthallen gastieren – auch wenn dann mitunter die unsterbliche Musik nicht selten blechern oder übersteuert aus alten Lautsprechern dröhnt.

Da tut es richtig wohl, wenn ein deutsches Theater das „Ballett aller Ballette“ auch mal wieder so nah wie möglich an die erste Erfolgschoreografie von Marius Petipa und Lew Iwanow vom 27. Januar 1895 rückt und ein Orchester wie die Essener Philharmoniker (mit hervorragenden Solisten!) unter der Leitung des jungen Kapellmeisters Johannes Witt mit wohlklingenden Rhythmen und Melodien mehr als passabel begleitet.

Essens Ballettintendant Ben Van Cauwenbergh gönnt sich zum 10-jährigen Jubiläum publikumswirksamer Arbeit im Revier eine eigene Choreografie, die sich an Petipa anlehnt und das Corps de ballet in den Fokus rückt. Das authentische Flair des 19. Jahrhunderts unterstreicht Dorin Gals Ausstattung. Schlossgarten und Terrasse (aus dem Opernfundus) liegen direkt an einem riesigen See mit Torbogen-Ruine, Zauberer Rotbarts Entrée zur High Society. Die Kostüme sind traditionell wie für „Giselle“, die Schwäne in Tellertutus und mit dem historischen Kopfputz ausstaffiert.

18 Schwäne hat die langjährige ehemalige Primaballerina der Deutschen Oper am Rhein, Monique Janotta, in den weißen Akten betreut. Da wird sehr präzise synchron in langen Diagonalen und kürzeren parallelen Reihen getanzt. Nur in einigen Szenen, wo flankierende Reihen und Rundtanz in der Bühnenmitte zusammengehen sollen, entsteht ein eher undurchschaubares Gewirr – jedenfalls aus seitlicher Parkettperspektive. Technisch besonders vertrackte Passagen – wie das rückwärtige Hüpfen auf einem Bein – werden jeweils drei Halbsolisten übertragen. Große und kleine Schwäne absolvieren ihre legendären Nummern voll konzentriert.

Ungarischen, polnischen und italienischen Nationaltanz choreografiert Van Cauwenbergh für kleinere Gruppen statt solistische Paare. Als zauberhaft graziös fällt die zierliche Yurie Matsuura im Pas de trois (mit Rodriguez und Jeyranyan) auf. Geradezu funkensprühend legen Yanelis Rodriguez und Armen Hakobyan den russischen Tanz aufs Parkett. Adeline Pastor und Aidos Zakan reißen Hofgesellschaft und Publikum im feurigen, pirouettenreichen spanischen Tanz voller athletischer Hebungen und Sprünge mit. Der drahtige Moisés León Noriega wirbelt als Rotbart mit wehendem, federbesetztem Cape über die Bühne. Davit Jeyranyan ist ein jungenhaft geerdeter Benno wie er im Buch steht.

Geschickt lässt Van Cauwenbergh die Tänzer des Divertissements schon im 1. Akt bei der Geburtstagsfeier auftreten. Dorthin hat sich auch eine Unbekannte mit Sonnenschirm und ganz in weiß, mit angedeutetem Federschmuck in den hinteren Rockpartien, verirrt. Auch kommt ein hocheleganter Beau in schwarz mit einer dunklen, atemberaubend Schönen am Arm zum Gratulieren vorbei.

Später, beim Ball im Schloss, stellen sich die potentiellen Bräute in Begleitung von Herren und viel Gefolge zur Musik der Nationaltänze vor – nicht so ganz logisch, bedenkt man die Situation, aber doch recht unterhaltsam gestrafft. Im Übrigen müssen die Akte zwei bis vier ohnehin nicht gesellschaftlicher Etikette und Logik folgen. Denn Prinz Siegfried ist am Ende seiner Geburtstagsfeier erschöpft im Garten eingeschlafen und träumt das Märchen, einschließlich seines hochdramatischen Todeskampfes in den wild brausenden Fluten des Sees. Der eher blasse, blonde Jüngling träumt sich auch gleich noch sein Traumaussehen dazu: Markig männlich mit dunkler Lockenpracht sieht Liam Blair aus und ist ganz Edelmann im aufwendig dekorierten dunkelblauen Wams zum gleichfarbigen enganliegenden Beinkleid anstelle der braven hellen Kavaliersuniform. Überdimensional große Videoprojektionen markieren den Übergang von Realität zum Traum und schließlich zurück in die Wirklichkeit.

Die hohen technischen Anforderungen insbesondere in den beiden großen Pas de deux des Weißen und Schwarzen Aktes erfüllt der Australier mit Anstand. Wie sich's gehört geht der klassische Prinz der Primaballerina zuverlässig (und zuweilen mit sichtbarer Anstrengung) zur Hand. Die ungewöhnlich hoch gewachsene Japanerin Mika Yoneyama – wie der Australier seit 2016 in Essen halbsolistisch engagiert, allerdings bereits aus ihrem Engagement in Bordeaux mit den großen klassischen Solopartien vertraut – beeindruckt als Odette/Odile durch feinste Technik, kommt hochkonzentriert rüber, aber leider ebenso kühl als Odette wie als Odile. Dennoch: Alles wird gut. Die inflationär bemühte Wertung „weltklasse“ erwartet hier ja niemand.

 

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