„About a Session“ von Anna Konjetzky

Nachdenken mit dem Körper

Anna Konjetzkys „About a Session“ an den Münchner Kammerspielen

Stark, doch ambivalent: Formalisiert getanzte Sexualität berührt dort weit mehr, wo sie als jeweiliger Höhepunkt von Liebe gezeigt wird, wie etwa in neoklassischen Stücken. Solche Sinnlichkeit ist in „About a Session“ komplett ausgespart.

München, 27/01/2018

Mit „Session“ sei eine zeitlich begrenzte Zusammenkunft unter flexiblen Regeln gemeint, um neue Erfahrungen und Erkenntnisse zu ermöglichen. Das verrät der Programmzettel zum neuen Stück von Anna Konjetzky, die seit 2005 choreografiert, vielfach ausgezeichnet im Jahr 2014 den Förderpreis Tanz der Landeshauptstadt München erhielt und aktuell ihre Projekte in Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen realisiert. Zu ihrer Studie über die sowohl Tänzer*innen als auch Publikum sexualisierenden Momente heißt es dort weiter: „Distanziert-Sein und Involviert-Sein bilden keinen Widerspruch.“ Ganz ähnlich habe ich das erlebt.

Zwei Frauen und zwei Männer – Sahra Huby aus Belgien, die 2009 den Preis „Das beste deutsche Tanzsolo“ gewann, Maxwell McCarthy und Quindell Orton aus Australien und der Spanier Victor Perez Armero – haben nacheinander die Bühne der Kammer 2 betreten, in der die Zuschauer auf weißem Stoff ohne Schuhe bequem auf Matratzen lagern. Eine Stimme über Lautsprecher beschreibt Moves und Positionen von Tänzern, und jeweils eine(r) der Vier demonstriert sie. Der kontinuierliche Blickkontakt dieser Menschen mit schönen Körpern sucht Nähe zum Publikum. Mehrere im Raum hängende Schirme zeigen, zunächst unscharf, Körperteile der Tänzer nackt und verbinden live gesprochene mit elektronisch hallenden Texten über das Besondere der Körper von Tänzern: ihre Schultern, ihr Becken, ihre sexuell attraktiven Bewegungen, die sie unbewusst machen. „Der leichte Umgang der Tänzerinnen und Tänzer mit ihren Körpern wirkt anziehend auf Menschen, die dann oft diese Körper berühren wollen“, so etwa lautet die These. Etwas beschwerlich wird weiter über Momente der Stimulierung räsoniert, wie es vor allem für Insider der Tanzszene interessant ist. Doch hier und da horcht auch der distanziertere Teilnehmer auf, so zum Beispiel, wenn eine Person über dem Körper einer anderen diesen „wie eine Landschaft, in die ich hineinfalle“ sieht. Dann erzählen die Tänzer von Versuchsanordnungen, in denen alles – von Distanz zu erregender Nähe, Lieblingsstellungen und Stöhnen – erlaubt ist, nur nicht, den anderen zu berühren. Sie stellen das nach, und auf den Bildschirmen sieht man die analogen Bewegungen ihrer nackten Körper: „You can be all in the same time: object and voyeur.“ Selbstverständlich ist es glaubhaft, dass während der letzten Wochen der Probenarbeit eine enge, offene Beziehung zwischen ihnen entstand, eine erotisierte. Aber wenn die Tänzer behaupten, sie würden auch irgendwie von den Blicken des Publikums penetriert, koppelt sich ihre Phantasie wohl von der ihrer meisten Zuschauer ab.

In der zweiten Hälfte wird es tänzerischer. Bewegen können sich diese vier, und wenn sie unisono ihre sexy Twists tanzen oder alle vier gleichzeitig solo, ist das stark. Dies wird durch die korrespondierende Soundcollage von Sergej Maingardt verstärkt, in die durch Kontakt-Mikrofone an den tanzenden Körpern deren Bewegung integriert sind. Dank ihr verschmelzen Projektionen und Texte, Action und Lecture zu einem multimedialen Ereignis. Es entsteht eine manchmal faszinierende Session in vielen, immer kurzfristiger unterbrochenen Rhythmen. Und so geht sie weiter, diese an Intensität und Freizügigkeit zunehmende Stunde.

Doch am Ende steht auch die Erkenntnis: Formalisiert getanzte Sexualität berührt dort weit mehr, wo sie als jeweiliger Höhepunkt von Liebe gezeigt wird, wie etwa in neoklassischen Stücken. Da ist sie etwas Intimes, der Vorstellung jedes Einzelnen überlassen. Solche Sinnlichkeit ist in „About a Session“ komplett ausgespart. Naturalistischer sexueller Stimulation wie hier zuzusehen aber turnt, wenn überhaupt, nur theoretisch an. Sie wirkt mechanisch und sexualisiert nicht, auch wenn sie von allen mit so beachtlicher Energie und so respektablem Mut vorgeführt wurde. Wichtiger aber ist wohl, dass Anna Konjetzky mit ihrer kleinen, aber feinen Truppe, geschützt durch den Rahmen einer „Session“, in den sie die Zuschauer zog, die scharfe Auseinandersetzung mit einem Thema gewagt hat, das noch immer gern unter den Teppich gekehrt wird.

 

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